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Wen stören eigentlich noch Russenhass und Antisemitismus?

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Am Mittwoch, den 25. Oktober veröffentlichte das Luxemburger Wort einen Artikel mit dem Titel «Putins langer Schatten». Darin wurde von der dreitägigen «Mission» berichtet, zu der unser Verteidigungsminister (!), unser Außenminister und unser Großherzog nach Litauen aufbrachen.

Der Verfasser Pol Schock zitiert den litauischen Außenminister mit den Worten, für sein Land gelte «die Geschichte der Befreiung Europas in 1945 nicht», denn damals habe die «Besatzungsperiode unter der Sowjetunion begonnen». Daher, so erklärt der Autor, richte man in den baltischen Staaten den «wachen Blick stets nach Osten», denn man sehe in den «imperialen» Plänen Russlands eine «latente Bedrohung», besonders seit «Russland 2008 mit Panzern in Georgien eingefallen ist».

Die Reihen fest geschlossen?

So lautet also heute das NATO-Narrativ zum Georgien-Krieg, das Herr Schock anstandslos übernimmt. Dabei befand eine von der EU im Dezember 2008 auf deutschen Vorschlag eingesetzte «Unabhängige Untersuchungskommission zum Konflikt in Georgien» unter der Leitung der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini, «dass der Krieg in der Nacht vom 7. auf den 8. August (2008) von Georgien begonnen wurde. (1) Im Zuge ihrer Gegenoffensive drangen allerdings russische Panzer auf georgisches Gebiet vor. So wie sie 1945 auf deutsches Gebiet, ja sogar in die Reichshauptstadt Berlin vordrangen. Wird man deshalb die Sowjetarmee im Zuge der neuen NATO-Geschichtsschreibung demnächst beschuldigen, 1945 in Nazideutschland eingefallen zu sein und dabei den deutschen Reichskanzler und den Minister für Volksaufklärung samt Familie in den Selbstmord getrieben zu haben?

Heute sind «22 Streitkräfte der Luxemburger Armee» in einem Kontingent «unter deutscher Führung» (das Wort klingt dem LW-Journalisten nicht mehr verdächtig) in Litauen stationiert, und sie richten gemeinsam mit den Litauern den «wachen Blick gen Osten». Das war ja zweifellos nötig, seit Russlands Militär aggressiv bis an die Grenzen der NATO vorgerückt ist! Deutschland ist selbstverständlich für niemanden eine Bedrohung, besonders für die Litauer nicht, deren Deutschfreundlichkeit eine lange Tradition hat.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob angesichts der luxemburgisch-deutsch-russischen und der litauischen Geschichte diese (militärisch lächerlich bedeutungslose) Präsenz politisch und moralisch zu rechtfertigen ist. Ich finde sie jedenfalls außerordentlich peinlich!
Zur Erinnerung: Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Zuge des Unternehmens Barbarossa brauchten die Nazis die große Mehrheit der Litauer nicht zur Kollaboration zu zwingen, nicht mal zur Jagd auf die litauischen Juden.
Wie lang ist wohl der Schatten Hitlers?

«Eine marodierende Gruppe militanter Litauer unter der Führung von Algirdas Klimaitis führte das erste Pogrom in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 1941 in Kaunas durch, brannte ein jüdisches Wohnviertel mit 60 Häusern nieder, tötete dabei 1.500 Juden und in den Folgenächten weitere 2.300», so liest man bei Wikipedia. Weiter heißt es dort: «Am 24. Juni 1941 installierte die deutsche Geheim- und Kriminalpolizei die litauische Geheimpolizei (Saugumo policija). Auch sie arbeitete den Besatzern beim Holocaust in die Hände. Manche NS-Funktionäre schätzten den Eifer der Saugumo höher als den der Gestapo ein. Die verheerendste Wirkung unter den antisemitischen litauischen Kräften hatte das Sonderkommando Ypatingasis burys aus der Gegend von Vilnius, das Tausende von Juden umbrachte (Massaker von Ponary). Auch die Litauische Arbeitergarde beteiligte sich am Holocaust. Viele litauische Unterstützer der deutschen Polizei kamen aus der faschistischen Organisation Eiserner Wolf.»

Teilnahme von Russlands Präsidenten

Der betreffende Wikipedia-Artikel fasst zusammen: «Die Bevölkerung vor Ort arbeitete den Besatzern bei der Tötung der Juden mit Vorbereitungsmaßnahmen und Logistik zu», und «der hohe Grad an Kollaboration mit den deutschen Besatzern» war «ein Charakteristikum des Holocaust in Litauen. (2) In dessen Rahmen wurden in dem kleinen Land rund 200.000 jüdische Menschen umgebracht.
Das sind alte Geschichten, ohne Bezug zur Gegenwart und zur heutigen Situation im EU-Land Litauen? Dazu möchte ich an dieser Stelle bloß die Deutschen Wirtschafts Nachrichten zitieren. Die befragten 2015 Efraim Zuroff vom «Simon Wiesenthal Center» zum «Kult um die Veteranen der Waffen-SS» im Baltikum und zu den «Aktivitäten der rechtsextremen Milizen in der Ukraine». Und auch dazu, dass beides von der EU-Politik systematisch «ignoriert» wird.

Im Interview warnte Zuroff «vor einer gefährlichen Melange aus anti-russischen und antisemitischen Vorurteilen» in den baltischen Staaten: «Es wird oftmals der Begriff ‹Judeo-Bolschewismus› benutzt, um einen Zusammenhang zwischen den ehemaligen Sowjets und dem Judentum als Ganzes zu schaffen. Es stimmt, dass sich die Juden im Baltikum zunächst über den Einmarsch der Sowjets gefreut haben und sie als Befreier ansahen. Doch die Alternative zu den Sowjets war Auschwitz und Völkermord.» Und weiter, unseren geschichts- und rückgratlosen Politikern ins Stammbuch: «Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie haben sich dafür eingesetzt, dass Kreml-Chef Wladimir Putin zur alljährlichen Gedenkfeier in Auschwitz eingeladen wird. Doch das ist nicht geschehen.

Efraim Zuroff: Der russische Präsident hat ein Recht darauf, an der Auschwitz-Gedenkfeier teilzunehmen. Schließlich war es die Rote Armee, die Auschwitz befreit und dem Massenmord ein Ende gesetzt hatte. Es waren die sowjetischen Truppen, die eine so wichtige Rolle in der endgültigen Niederlage des Dritten Reiches gespielt haben. Dabei haben die Russen selbst große Opfer bringen müssen. Mit anderen Worten, wenn es jemand verdient, an der Gedenkfeier teilzunehmen, ist es Wladimir Putin.» (3)

Man hofiert jene, die offen und schamlos an die Nazi-Kollaboration anknüpfen, in Litauen, dem ganzen Baltikum, in der Ukraine, während man den Vertreter jenes Landes, dessen Streitkräfte Auschwitz befreiten und dessen Volk unter unvorstellbaren Leiden und Entbehrungen den Faschismus besiegte, ausgrenzt, verteufelt und brüskiert. Zum Kotzen.

Albert Ettinger

(1) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/untersuchungskommission-georgien-hat-den-krieg-begonnen- 1854145.html
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust_in_Litauen
(3) https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/ 03/21/die-eu-schaut-weg-im-baltikum-werden-ss-veteranen-als-helden-gefeiert/

me
7. November 2017 - 15.31

Wo sehen Sie eine Drohung?

Zitat "Duden - Die deutsche Rechtschreibung":
"drohen:
1a: jemanden durch Gesten oder emphatische, nachdrückliche Worte einzuschüchtern versuchen, damit er etwas nicht zu tun wagt
1b: darauf hinweisen, dass etwas für jemanden Unangenehmes geschehen wird, falls er sich nicht den Forderungen entsprechend verhält
2: als etwas Gefährliches, Unangenehmes möglicherweise eintreffen, als Gefahr o. Ä. bevorstehen
3: im Begriff sein, etwas Gefährliches, Unangenehmes o. Ä. zu tun"

jcg
7. November 2017 - 7.19

Toll, dass sie eine Meinung haben, wenn auch nicht Meine. Mich stört allerdings ihre unterschwellige Drohung, der Journalist solle dich einen neuen Arbeitgeber suchen. Nicht sehr freiheitlich...

jcg
6. November 2017 - 7.47

Dass zu diesem Artikel gar kein Komentar gepost wird, ist eigendlich erschreckend. Es zeigt dass es den Menschen egal ist. Die schweigende Mehrheit! Käme Hitler zurück, hätte er wohl leichtes Spiel... Juden, Russen, Zigeuner etc. wären gleich wieder Untermenschen und könnten alssolche "behandelt" werden. Und fast alle schauen wieder weg oder klatschen Beifall. Na toll!

me
6. November 2017 - 7.31

Sehr geehrter Herr Ettinger,

was klingt Ihrer Meinung nach an dem Wort "unter deutscher Fuehrung" (das sind Drei Worte, ganz nebenbei bemerkt) "verdaechtig"? Der zweite Weltkrieg ist schon einige Jahre vorbei und Hitler schon ebensolange Geschichte. An dem Wort "Fuehrung" kann ich heutzutage beim besten Willen nichts verwerfliches mehr finden, auch nicht dann, wenn die Fuehrung "Deusch" ist.
Viel befremdlicher finde ich im Gegenteil ihre hier so offen zur Schau getragene Anti-Deutschland-Stimmungsmache. Sie sollten besser mal in sich gehen und eins bedenken, bevor Sie sich weiterhin als Putinversteher praesentieren: In Russland waeren Sie fuer einen Beitrag wie den Ihren, der so offen Kritik an der eigenen Staatsfuehrung uebt, mittlerweile schon von der Polizei abgeholt und in ein schickes 4-Quadratmeter-Einzelzimmer mit vergittertem Blick zum Hof einquartiert worden.
Sie sollten sich einer Sache klar sein: Das Land, "dessen Streitkräfte Auschwitz befreiten und dessen Volk unter unvorstellbaren Leiden und Entbehrungen den Faschismus besiegte" ist nicht das heutige Russland, ebensowenig wie das heutige Deutschland mit Nazideutschland gleichgesetzt werden kann.
Zudem: Auch wenn Sie die Bedrohung der baltischen Staten vehement kleinreden -- sie ist Fakt, oder wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass die Ereignisse der letzten Jahre in der Ukraine und auf der Krim allsamt ein Produkt der antirussischen Luegenpresse sind? Wie steht's mit den immer wiederkehrenden Luftraumverletzungen Europaeischer Staaten durch russisches Militaer? Alles nur Hirngespinste?

Zugegeben, Schwarzweissmalen ist einfach und polemische Stammtischreden sind in unserer heutigen Zeit gross im kommen -- aber ein Artikel wie der Ihre ist dann doch besser in "Luxemburg Privat" aufgehoben als hier. Vielleicht sollten Sie mal ueber einen Arbeitgeberwechsel nachdenken?

jcg
4. November 2017 - 7.34

Danke. Ich dachte schon ich sei der Einzige, der so denkt. Ich hoffe nur für uns beide, dass wir uns nicht in ein paar Jahren als Hauptatraktion bei der Hexenverbrennung sehen...