Headlines

Ein paar Gedanken zur Kommunalwahl 2017

Ein paar Gedanken zur Kommunalwahl 2017

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von Alex Bodry*

Die Auslegung der Wahlergebnisse und die nachfolgende Bildung der kommunalen Koalitionen und Schöffenräte sorgt für Diskussionen, Aufregung, Unverständnis, ja Zorn. Klar ist, dass die Einschätzung der jeweiligen politischen Lage ohne Zweifel von dem persönlichen Standpunkt des Betrachtens abhängt. Was man in einer Gemeinde kritisiert, scheint in einer anderen zumindest akzeptiert, manchmal sogar begrüßt zu werden. Angesichts dieser doch etwas konfusen Stimmungslage scheint es mir angebracht, einige Fakten in Erinnerung zu rufen:

1) Bei den Kommunalwahlen wählt man in Luxemburg nicht den Bürgermeister, nicht den Schöffenrat, sondern die Mitglieder des Gemeinderates. Zu diesem Zweck verfügen die Wähler je nach Größe der Gemeinde über 7 bis 27 Stimmen. In den jetzt 46 Proporzgemeinden wird nach Parteilisten gewählt. Zu den persönlichen Stimmen addiert man die Listenstimmen, die 2017 mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen ausgemacht hat.

2) Der Bürgermeister wird wie die anderen Mitglieder der Gemeindeexekutive von den Gemeinderatsmitgliedern vorgeschlagen und indirekt bestimmt. Das geschieht in Luxemburg durch einen Brief an den Innenminister, der von der Mehrheit der gewählten Gemeinderäte unterschrieben wird. Entscheidend für die Zusammensetzung des Schöffenrates ist demnach die Unterstützung durch eine Mehrheit des neu gewählten Gemeinderates.

3) Die Zusammensetzung des Schöffenrates ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Parteien, Mannschaften oder Gewählten aufgrund ihrer Sitzstärke und – so sollte es zumindest sein – deren jeweiliger Programme.

4) Jede Mehrheit, jede Koalition, die sich auf der Basis dieser Diskussionen und Verhandlungen bildet, ist legal, in der Regel auch legitim. Illegitim wäre meiner Meinung nur eine Koalition, die in ihrer personellen und politischen Zusammensetzung in krassem Gegensatz zu vor den Wahlen verbindlichen Aussagen zustande kämen.

5) Keine Partei, kein Kandidat hat als Konsequenz des Wahlergebnisses ein Vorrecht, nicht einmal Initiativrecht für Verhandlungen. Es besteht in dieser Frage weder ein verbindlicher Text oder eine feste Tradition in Luxemburg.

6) Entscheidend bei den Ergebnissen ist die Sitzzahl pro Liste im Hinblick auf das Erreichen einer Mehrheit. Prozentuale Unterschiede, Gewinne oder Verluste gegenüber den vorherigen Wahlen spielen eine untergeordnete Rolle. Kurzum: Die arithmetische Logik überwiegt, die politische Logik ist zweitrangig.

So will es unser bestehendes Wahlgesetz. Die kommunalen Regeln oder Nicht-Regeln sind fast identisch mit den Grundsätzen, wie wir sie auf nationaler Ebene bei Regierungsbildungen kennen. Trotz der nicht verankerten Praxis der Bestimmung eines «Formateurs» oder «Informateurs» liegt im Endeffekt die Bildung von Koalitionen auch auf nationaler Ebene in der Hand der Parteien und ihrer zuständigen Gremien.
Kein Wahlgesetz, kein politisches System ist ideal, ohne Makel. Deshalb ist es völlig in Ordnung, dass zurzeit eine Debatte über die Schwächen und Unzulänglichkeiten unseres kommunalen Wahlgesetzes geführt wird.

Der meist geäußerte Hauptvorwurf liegt in der Bestimmung eines Bürgermeisters bzw. eines Schöffenrates, der nicht dem ominösen «Wählerwillen» entsprechen soll. Diese Kritik scheint mir zumindest diskutabel, da es den Wählerwillen, im Singular, nicht gibt.
Was ist politisch entscheidend? Die Reihenfolge der Listen, das Spitzenergebnis der Kandidaten, die Differenz zu den vorherigen Wahlen oder die Übereinstimmung der Programme? Schwer zu sagen! Wohl alles ein bisschen.

Es bringt kaum etwas, gesetzlich verbindliche Regeln für die Verhandlungen bei Schöffenratsbildungen festzulegen: Die Kontrolle ist schwierig, Sanktionen eigentlich undenkbar. Vor allem kann man die Hypothese von geheimen Parallelverhandlungen oder Scheinverhandlungen nie ausschließen. Das Ganze wäre unwirksam und auch kaum mit der gesetzlich verankerten Gemeindeautonomie zu vereinbaren. Das müsste dann logischerweise ebenfalls bei Regierungsbildungen gelten.

Debatten den Nährboden nehmen

Um Debatten, wie wir sie zurzeit erleben, den Nährboden zu nehmen, wäre es nützlich, dass sich die Parteien im Vorfeld der Wahlen freiwillig eine gewisse Vorgehensweise bei Koalitionsverhandlungen geben. Auch wären Koalitionsaussagen vor Wahlen hilfreich, obwohl das nicht der Luxemburger Tradition entspricht. Denkbar ist auch, eine größere Wahlrechtsreform einzuleiten.

Für viele Wähler geht es bei der Kommunalwahl in erster Hinsicht um die Bestimmung des Bürgermeisters. Dem könnte man Folge leisten. Weshalb nicht, wie das in vielen Ländern üblich ist, den Bürgermeister – zumindest in den größeren Gemeinden – direkt wählen?
Währenddessen werden die übrigen Gemeinderatsmitglieder über Listen gemäß des Verhältnisrechts gewählt. Ein solches Wahlsystem besteht in vielen deutschen Bundesländern. Es scheint zu funktionieren.

Eine solche Lösung kann – dessen muss man sich bewusst sein – dazu führen, dass der Bürgermeister nicht über eine eigene Mehrheit im Gemeinderat verfügt.
Allerdings wäre der Vorwurf, dem Wählerwillen würde nicht Rechnung getragen, definitiv vom Tisch.

Auch andere Varianten sind denkbar. So bekennen sich die Parteien in Italien im Vorfeld zu einem Bürgermeisterkandidaten. Sein Ergebnis ergibt sich aus dem Total der ihn unterstützenden Listen. Dieses System ist transparent und macht Koalitionen sichtbar.
Denkanstöße gibt es genug. An den Parteien liegt es, sie zu prüfen, nach öffentlicher Debatte abzuwägen und gegebenenfalls in ihre Wahlprogramme aufzunehmen. Es lohnt sich allemal, diese überfällige Debatte über die Pertinenz unseres Wahlrechtes zu führen, nicht nur bei Gemeindewahlen, sondern auch bei Nationalwahlen: Wahlbezirke, Panaschiermöglichkeiten, Restsitzverteilung … Möge das jeweilige parteipolitische Kalkül nicht in einen absoluten Status quo münden!

*Der Autor: Alex Bodry ist Abgeordneter und Fraktionsführer der LSAP im luxemburgischen Parlament, dem er mit einer Unterbrechung seit 1984 angehört. Von 1998 bis 1999 hatte er verschiedene Ministerposten inne. Er war bis 2014 in der Düdelinger Gemeindepolitik aktiv, zuletzt als Bürgermeister.