Mit gerade einmal 31 Jahren ist Sebastian Kurz schon ein alter Hase der österreichischen Spitzenpolitik. Sein Wahltriumph öffnet ihm nun die Tür ins Kanzleramt. Ein Porträt.
Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien
Zum ersten Mal Sex hatte er mit 15. In seinen wilden Jahren beantwortete Sebastian Kurz auch Interviewfragen nach solch intimen Dingen locker und gestand auch offen ein, dass er es nicht aushalten würde, nur Wasser zu trinken, wenn seine Kumpels in der Wiener In-Disco U4 abfeiern:»Ich bin doch nicht deppert!» Das war 2011 und der Chef der Jungen ÖVP (JVP) war schon auf einem für andere unerreichbare Karrierehöhepunkt angelangt. Der damalige Parteichef Michael Spindelegger hatte den 24-Jährigen als Integrationsstaatssekretär aus dem Hut gezaubert.
Für die Wiener Schwarzen war Kurz schon länger eine Zukunftshoffnung. Obwohl die Parteigranden über den Partytiger und seine Discotruppe die Nasen rümpften, ließen sie ihn gewähren – und sich vorerst zum Gespött machen: 2010 war der Jungspund mit einem «Geil-o-Mobil» – einem Hummer-Geländewagen mit der Aufschrift «Schwarz macht geil» – durch den Landtagswahlkampf getourt. Damit keine Missverständnisse aufkamen, hatte Kurz stets langbeinige Blondinen mit schwarzen Hotpants im Schlepptau.
An den Urnen ging es dann weniger geil zu. Die ÖVP verlor ein Viertel ihrer Wähler. Aber Sebastian Kurz war nun über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Belächelt zwar, aber eben bekannt. Und ausgestattet mit viel Selbstwusstsein.
Abgewimmelt von der ÖVP
Das hatte er schon gebraucht, um überhaupt bei der ÖVP landen zu können. Als 16-Jähriger wollte er im Arbeiterbezirk Meidling, wo er am 27. August 1987 als Sohn eines Ingenieurs und einer Gymnasiallehrerin geboren wurde, bei der örtlichen Jungen ÖVP anheuern und wurde abgewimmelt. Er möge sich doch wieder melden, wenn er ein Studium begonnen habe. «Basti», wie in seine Freunde und Fans nennen, ließ nicht locker und klopfte bei den Jung-Schwarzen im Bezirk Innere Stadt an. Dort durfte er seinen politischen Tatendrang ausleben und kam in Kontakt mit seinem Mentor Michael Spindelegger. Der damalige ÖVP-Chef ist zwar selbst längst Geschichte, hat aber die wohl gravierendste Personalentscheidung der letzten Jahre getroffen.
Österreichs Christdemokraten pfeifen aus dem letzten Loch, als das Greenhorn Kurz 2011 die Agenden für die Integrationspolitik übertragen bekommt. Vorschusslorbeer gab es für das jüngste Regierungsmitglied keinen. Einen Partytiger ohne abgeschlossenes Studium mit einer derart heiklen Materie zu betrauen fand kaum ein Kommentator gut. Die Kritiker verstummten allerdings ziemlich schnell, als Kurz begann, die bislang nur als Problem diskutierte Integration von Ausländern in einen positiven Kontext zu stellen, etwa indem er Erfolgsgeschichten von Österreichern mit Migrationshintergrund sammeln und verbreiten ließ.
Außenminister mit 27
Zwar erzielt auch Kurz bei dem Megathema nicht gerade bahnbrechende Erfolge, aber er verschafft sich mit seinem zumindest ehrlich wirkenden Bemühen immerhin soviel Respekt, dass die Bedenkenträger beim nächsten Karrieresprung schon deutlich zurückhaltender sind: 2013 macht Spindelegger seinen Schützling zum Chef des Außenministeriums, dessen teils noch dem alten Adel entstammendem Personal eine gewisse Hochnäsigkeit nachgesagt wird.
Europas jüngster Außenminister ist weiter für die Integrationspolitik zuständig und überrascht auch auf dem eisglatten Parkett der Diplomatie mit erstaunlicher Trittsicherheit. Er lernt schnell, umgibt sich mit kompetenten Beratern und wirkt in Begegnungen mit den weltpolitischen Playern so routiniert, als hätte er noch nie etwas anderes gemacht. Dass er bei seiner ersten Rede vor der UNO-Vollversammlung extrem nervös war, hat er später eingestanden, aber sich nicht anmerken lassen.
Flexible Willkommenskultur
Als Integrationsminister bleibt er zunächst bei seinem auf positiv getrimmten Kurs. So entstehen jene Zitate, die ihm die FPÖ in diesem Wahlkampf immer wieder unter die Nase hallen sollte: «Der Islam gehört zu Österreich», «Wir haben zu wenig Willkommenskultur» oder «Der durchschnittliche Zuwanderer von heute ist gebildeter als der durchschnittliche Österreicher».
Das sagte Kurz freilich vor dem denkwürdigen Herbst 2015, der Europa verändern, so manchen Politiker das Amt kosten, seine Karriere aber umso mehr pushen sollte. Denn der junge Mann hat ein Gespür für das, was die Menschen gerade bewegt. Dass Christliche und Soziale, das er als seine politischen Wurzeln nennt, tritt in den Hintergrund, als die Flüchtlingsmassen über Europa und in der Folge auch Österreich hereinbrechen. Während so mancher seiner christdemokratischen Freunde unter dem Eindruck des Elends auf der
Refugees-Welcome-Welle surft, sagt Kurz der politische Instinkt, dass diese Kollegen bald ein Problem haben würden.
Tatsächlich schlägt die Stimmung schnell um. Und es ist Kurz, der nun tut, wovon er später im Wahlkampf dreimal täglich sprechen wird: Er schließt die Balkanroute. Wirklich geschlossen hat diesen Fluchtweg nicht er, aber immerhin hat er mit den Regierungen entlang der Westbalkanroute die Sperre der Grenzen ausgehandelt. So nebenbei legte er sich mit halb Europa an, darunter die deutsche Kanzlerin Angla Merkel, deren Wir-schaffen-das-Credo Kurz für einen fahrlässigen Fehler hält und das auch gar nicht diplomatisch in aller Offenheit sagt. In dieser Zeit ist er auch Dauergast in deutschen TV-Talkshow und wird zum gefragten Interview-Partner für ausländischde Medien. Das Verhältnis zwischen Berlin und Wien, auch das zwischen den Schwesterparteien CDU und ÖVP ist in diesen Tagen angespannt.
Der schwarze Messias
Weil aber, wie schon Helmut Kohl wusste, entscheidend ist, was hinten rauskommt, steht Kurz nun als Sieger da: Die Zahl der Flüchtlinge ist stark gesunken, was zumindest in Österreich die meisten «seiner» Balkansperre und weniger Merkels Flüchtlingsdeal mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zuschreiben. Weil er sich in der Migrationskrise gegen alle Widerstände durchgesetzt und auch in der Frage eines türkischen EU-Beitrittes als erster wirklich Klartext geredet hat, trauen immer mehr dem jungen Minister das Potenzial zum Wunderwuzzi für alles zu. Seine eingeschworene Truppe aus der Jungen ÖVP arbeitete zudem eifrig an der Verfestigung der Botschaft vom schwarzen Messias. Bis es Parteichef Reinhold Mitterlehner im vergangenen Mai reichte: Der wollte nicht länger nur Platzhalter sein und räumte das Feld für Kurz.
Der hatte allerdings in den fast sieben Jahren im Zentrum der Macht schon derart viel Selbstbewusstsein getankt, dass er das Angebot nicht dankbar und gerührt annahm, sondern harte Bedingungen stellte. Personalfragen und politische Linie dürfe nur einer entscheiden: er! Das verlangte Kurz schriftlich mit entsprechenden Statutenänderungen. In ihrer Not blieb den Parteigranden nichts anderes übrig, als die vom Jungrevoluzzer servierten Kröten zu schlucken. Allen war bewusst: Das ist auf absehbare Zeit die letzte Chance einer vom Untergang bedrohten Partei.
Die Rechnung ist am Wahlsonntag aufgegangen. Sebastian Kurz hat seine Partei aus dem Jammertal und sich selbst an das Tor zum Kanzleramt geführt. Dort wartet auf den 31-Jährigen nun eine Herkulesaufgabe, bei der wenig Zeit bleiben wird für das, was «Basti» mit 15 wichtig war und wonach kein Reporter einen Kanzler in spe fragen würde.
War die nicht schon einmal so ein Export aus Österreich, der sehr viel Leid über Europa brachte?
Schuld : die katastrophale Bewältigung der Flüchtlingskrise!
es wird immer soviel von dem Merkel Deal gesprochen mit der Türkei und gleichzeitig steigen wieder die Zahlen von Menschen die an griechischen Inseln ankommen. Ich sehe nie Bilder von Retours in die Türkei. Kann es sein, dass dieser Deal schon lange geplatzt ist und nur nicht drüber berichtet wird? Wieso gibt es keine Zahlen und Bilder darüber?
Die SOZIO-LIBERALE hat ausgeträumt, seit 1945 bis heute war ein langer Dornröschen Schlaf; Realität hat Einkehr genommen;