Die Rakete hat das Dach der Moschee durchschlagen und Teile der Rückwand weggesprengt. Der Duft von frisch gebratenem Hähnchen und Zwiebeln weht durch die Ruinen. An langen Tischen setzen zig Jugendliche aus Reis, Fleisch und Karotten Mahlzeiten für 13.000 Menschen zusammen und verpacken sie in kleinen Boxen. Später am Tag werden sie das Essen auch in die Stadtteile im Osten bringen, die durch die Kämpfe der letzten Jahre fast vollständig zerstört wurden. Denn auch dort leben inzwischen wieder Menschen in den Ruinen und feiern das Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan.
«Es ist ein bisschen schizophren», sagt Ghaith, einer der freiwilligen Helfer. «Alles ist zerstört und dann stehen hier junge Menschen und lachen und wollen einfach nur helfen.» Neben der Moschee, die der 31-Jährige und die anderen Helfer nutzen, beginnt der Wiederaufbau von Aleppo. Menschen kehren die Trümmer zusammen, verputzen die unzähligen Einschusslöcher in den Fassaden, eröffnen einfache Kioske und kleine Werkstätten in Gebäuden, deren Dächer zum Teil eingestürzt und deren Wände weggesprengt sind. Die Menschen in Aleppo versuchen, in den Alltag zurückzukehren.
Aber die Spuren der jahrelangen Kämpfe haben sich tief in das Stadtbild der ehemals wichtigsten Wirtschaftsmetropole Syriens eingegraben. Im Ostteil der Stadt, dort, wo die Aufständischen bis zum Dezember vergangnen Jahres ausharrten und zusammen mit Zehntausenden Zivilisten eingekesselt waren, sind viele Häuser fast vollständig zerstört. Auch die Frontlinie zum Westen, der von der Regierung des Präsidenten Baschar al-Assad kontrolliert wurde, ist eine Trümmerwüste. Hochhäuser mit leeren Fenstern säumen die Straßen. Nach UN-Angaben sind rund eine Million Menschen in der Provinz Aleppo durch die Kämpfe in den letzten Jahren vertrieben worden. Aber allmählich kehren sie zurück in die Stadt.
Direkt an der über der Stadt thronenden Zitadelle hat Bashir Mohammed al-Kamus eine kleine Werkstatt eingerichtet. Der 60-Jährige sitzt auf einem Schemel und baut Wasserpfeifen zusammen. «Als die Rebellen vor sechs Monaten geschlagen wurden, bin ich wieder hergekommen», sagt er und singt ein Loblied auf die syrische Armee. «Morgen mache ich hier ein Shisha-Café auf, dann können die Menschen hier das Ende des Ramadans feiern.» Der alte Mann schimpft auf die Rebellen, wie viele in Aleppo. Das kann daran liegen, dass Gespräche mit Journalisten immer von einem Mitarbeiter der Regierung begleitet werden, oder auch daran, dass nach dem Ende der Kämpfe mehr als 36.000 Menschen die Stadt in Richtung Rebellengebiete verlassen haben.
«Sie agieren wie die Mafia»
«Wenn Aleppo nicht funktioniert, funktioniert Syrien nicht», sagt Fares al-Schehabi. Er ist Parlamentsabgeordneter sowie Präsident der Industriekammer Aleppos und ein glühender Anhänger Baschar al-Assads. Zudem steht er auf der Sanktionsliste der EU. «Die größte Herausforderung ist jetzt, die Stadt wieder zum Leben zu erwecken.» Vor allem die Infrastruktur hat gelitten: Die Stromversorgung ist schlecht und läuft vielerorts nur über Generatoren. Nachts brennen keine Straßenlaternen. In vielen Stadtteilen müssen Menschen mit Kanistern zu extra aufgestellten Wassertanks gehen, um sich Wasser zu holen. Tausende Fabriken sind nach Regierungsangaben zerstört worden.
Auch die Sicherheitslage ist fragil: Regierungstreue Milizen sind in den vergangenen Wochen immer wieder übergriffig geworden, haben Bewohner an Kontrollpunkten bedroht und mehrere Menschen getötet. «Diese Kriminellen nutzen die aktuelle Situation aus», sagt der Abgeordnete al-Schehabi. «Sie agieren wie die Mafia.» Damaskus schickte daraufhin einen seiner besten Sicherheitsbeamten nach Aleppo, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen.
«Es ist eine Tragödie»
Bei allen Bemühungen um Normalität und Wiederaufbau ist der Krieg in Aleppo nicht weit weg: Die Front verläuft heute nur ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Nachts schießen die Rebellen vereinzelt Mörsergranaten in Richtung der Vororte Aleppos. Immer wieder mischt sich das Donnern der syrischen Artillerie in den alltäglichen Klang der Großstadt. Doch es gibt auch Stadtviertel, die zumindest äußerlich kaum etwas von den Kämpfen abbekommen haben. Die UN schätzen, dass rund ein Drittel der Gebäude in Aleppo zerstört oder beschädigt worden sind.
Nachdem er vor mehreren Jahren geflohen war, ist Abdelrahman Hamidan zum Ende des Ramadans mit seiner Familie in sein altes Haus im Osten der Stadt zurückgekehrt. Bewohnbar sei es noch nicht, sagt er, er habe nur schauen wollen, was noch übrig sei. In seiner Hand hält er drei Familienfotos, ein Tischdeckchen, einen Schulausweis seines Sohnes und einen Koran, der mit Staub bedeckt ist. «Trotzdem können wir jetzt entspannter feiern als die letzten Jahre», sagt er. Die Preise seien zwar enorm, aber sie versuchten dann eben, mit weniger ein schönes Fest zu feiern.
Ghaith, der junge Mann, der mit den anderen Freiwilligen Essen für Bedürftige kocht, will sich von den immensen Herausforderungen, die der Wiederaufbau mit sich bringt, nicht abschrecken lassen. «Ja, es ist eine Tragödie», sagt er. «Es gibt so viele Tote und so viel Zerstörung. Aber das ist vorbei, wir müssen jetzt nach vorne gucken.»
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können