Das Geschehen erinnert an den Sturm auf das Hauptquartier der DDR-Staatssicherheit in Ostberlin am 15. Januar 1990: Tausende ägyptische Demonstranten stürmten in der Nacht zum Sonntag die riesige Zentrale des berüchtigten Inlandsgeheimdienstes Muchabarat in der Kairoer Vorstadt Nasr City. Dabei stiessen sie auf zahlreiche Dokumente, welche die umfassenden Repressions- und Spitzelaktivitäten der Behörde belegten.
Darunter waren Aufzeichnungen von abgehörten Telefongesprächen zwischen Oppositionspolitikern, abgefangene E-Mails oder Protokolle von internen Beratungen der Opposition. Der pikanteste Fund betrifft wohl zahlreiche Sex-Videos, die von der Geheimpolizei in Hotelzimmern gedreht wurden. Sie sollen allerlei Berühmtheiten in Aktion zeigen, Schauspieler und Politiker, Ägypter und Ausländer. Eines zeigt laut der «Vancouver Sun» eine kuwaitische Prinzessin und einen bekannten ägyptischen Geschäftsmann.
Gefängniszellen und Folterwerkzeuge
Der Geheimdienst hatte in Ägypten in den letzten sechs Jahrzehnten hauptsächlich der Unterdrückung der Bevölkerung gedient. Er betrieb ein Netz von Agenten und Spitzeln, das wie ein Krake in alle Bereiche der Gesellschaft reichte. Bei der Suche nach Gefangenen im Geheimdienstbau stiessen die Aktivisten allerdings nur auf leere Gefängniszellen. Die dort zurückgelassenen Folterwerkzeuge lassen erahnen, mit welcher Brutalität die Verdächtigen hier behandelt worden waren. Im Keller fanden die Aktivisten zahlreiche Waffen.
Ein großer Teil der gefundenen Dokumente war allerdings bereits zerstört. Auf YouTube veröffentlichte Videos zeigen Berge von geshredderten Akten. Aus den Computern war die Harddisk entfernt worden. Doch auch das vorhandene Material ist teilweise brisant: Darunter sollen sich Belege befinden für die Zusammenarbeit des Muchabarat mit CIA und FBI bei der Folterung von Terrorverdächtigen. Ein Dokument soll sogar zeigen, dass der Geheimdienst hinter dem Bombenanschlag auf eine koptische Kirche an Neujahr in Alexandria steckt.
Heikelste Unterlagen weggebracht
Zahlreiche Dokumente wurden bereits auf Facebook und anderen Websites veröffentlicht, worüber sich der regierende Militärrat alarmiert zeigte. Er forderte die Opposition auf, die Unterlagen der Armee zu übergeben, und berief sich dabei auf die nationale Sicherheit. Gleichzeitig sind bei den Demonstranten nach der ersten Euphorie Zweifel aufgetaucht, ob das Material wirklich wertvoll ist oder nicht sogar absichtlich zurückgelassen wurde, um die Öffentlichkeit abzulenken und dem Ruf von Oppositionspolitikern zu schaden.
«Zwar wurden viele Dokumente gefunden, die Geheimnisse und Verstöße enthüllen, doch sie sind nichts im Vergleich zu dem, was versteckt oder verbrannt wurde», sagte ein Anwalt der Muslimbruderschaft der Zeitung «Al Masry Al Youm». Ein ungenannter Geheimdienst-Offizier bestätigte, dass die heikelsten Files vor dem Sturm aus dem Nasr-City-Hauptquartier weggebracht wurden und an geheimen Örtlichkeiten aufbewahrt werden: «Die gefundenen Dokumente sind für uns nicht wichtig, die Leute aber denken, sie seien es.»
Wikileaks will Akten rekonstruieren
Auch Demonstranten berichteten von Lastwagen, die Tonnen von Dokumenten weggeschafft hätten. Allerdings könnte auch das geshredderte Material noch Brisantes enthüllen. Die Wikileaks-Organisation forderte die Ägypter via Twitter bereits auf, nichts wegzuwerfen: «Wir haben das weltbeste Shredder-Rekonstruktionsteam zur Verfügung.» Die Kontroverse um die ägyptischen Stasi-Akten wird so schnell nicht verschwinden.
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