Im Marine-Hauptquartier Neapel sind Militärs nach Seeblockade und Flugverbotszone nun auch zuständig für den Schutz der Zivilisten und damit für Militärschläge gegen Soldaten von Diktator Muammar al-Gaddafi. Zugleich geriet die Nato von zwei Seiten unter Druck. Einerseits sorgten die USA für Streit innerhalb der Allianz, indem Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton Waffenhilfe für die Rebellen gegen Gaddafi nicht ausschließen wollten – ähnlich wie Frankreich und Großbritannien. Andererseits warnte auch Russland die Nato unüberhörbar vor einer «kreativen Auslegung» der Resolution des UN-Sicherheitsrates mit der Nummer 1973. Moskau sehe im Vorgehen der Allianz in Libyen einen «Testfall» für die künftigen Beziehungen zur Nato, sagte Russlands Nato-Botschafter Dmitri Rogosin in Brüssel.
Problematische Waffenlieferungen
Im Kampf um die Macht in dem nordafrikanischen Land wird über Waffenlieferungen an die Rebellen diskutiert. In der Vergangenheit hatten solche Hilfen allerdings nicht immer den beabsichtigten Erfolg.Afghanistan: Die USA unterstützten am Hindukusch von 1986 an Rebellen im Kampf gegen die sowjetische Besatzungsmacht. Die Mudschaheddin erhielten neben Geld und Munition auch Artillerie und Luftabwehrraketen von Typ Stinger. Nach dem Abzug der Sowjets 1989 und dem Sturz der Moskau-treuen Regierung in Kabul kamen die Taliban an die Macht. Sie konnten ihre Herrschaft auch mit modernen US-Waffen verteidigen – bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11. September 2001.
Irak: Nach der islamischen Revolution im Iran 1979 begann der Westen, massiv das Regime von Saddam Hussein im benachbarten Irak zu unterstützen. Die USA strichen das Land von ihrer Terror-Liste und leisteten massive Wirtschaftshilfe. Im ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak unterstützte Washington Bagdad auch mit CIA-Satellitenbildern und anderen Geheimdienstinformationen.
Frankreich wurde zu einem der wichtigsten Waffenlieferanten des Irak. Von 1980 bis 1983 kaufte Saddam in Paris Rüstungsgüter für umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro – darunter Raketen und Kampfjets. Als 2002 im Kampf des Westens gegen Saddam im Irak Flugverbotszonen galten, wurden amerikanische und britische Maschinen bei Überprüfungsflügen mehrfach beschossen, zum Teil mit irakischen Waffen aus französischer Produktion.
dpa
Obama hatte am Dienstag Waffenhilfe für die Rebellen in seine politischen Pläne für Libyen «nicht ausschließen und nicht einschließen» wollen. Und nach der Londoner Libyen-Konferenz wagte sich Clinton mit der Ansicht vor, nach Ansicht der USA habe die Resolution «das absolute Verbot von Waffenlieferungen an jeden in Libyen außer Kraft gesetzt». Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, erkennbar genervt durch den bisherigen Streit im Bündnis um den Libyen-Einsatz, hielt ungewöhnlich klar und direkt dagegen: «Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu schützen, nicht, sie zu bewaffnen.»
Strikte Anwendung
Tatsächlich verlangt die UN-Resolution 1973 eine «strikte Anwendung» des Waffenembargos und die Verhinderung von Waffenlieferungen «in die oder aus der Libyschen Arabischen Jamahirya». Wo Clinton in der Resolution eine Öffnung für Waffenhilfe an die Rebellen sieht, sagte sie nicht. Der möglichen Argumentation, das von den Rebellen kontrollierte Gebiet sei gar nicht mehr Teil der im Text erwähnten «Jamahirya», des von Gaddafi ausgerufenen «Volksstaates», dürfte kaum ein Nato-Partner folgen, sagten Diplomaten.
Das Echo in der Nato war vielstimmig. Italien, dessen Nato-Rolle in der Libyen-Krise wichtiger ist als unter normalen Umständen, lehnte Waffenlieferungen an die Rebellen rundheraus als «kontroverse, extreme Maßnahme» ab. Auch Spanien betonte, das Waffenembargo gelte für alle. Der britische Premierminister David Cameron erklärte hingegen, seiner Ansicht nach erlaube die UN-Resolution die Bewaffnung der Rebellen «unter bestimmten Umständen» wie zum Schutz von Zivilisten. Und Frankreichs Außenminister Alain Juppé sagte, die Resolution sehe keine Waffenlieferungen vor, man könne aber mit anderen Staaten mal darüber reden.
Völlig unparteiisch
Eher unangenehm berührt zeigten sich Nato-Diplomaten. «Wir kontrollieren die Einhaltung des Waffenembargos. Und wir sind der Ansicht, dass es in Libyen nicht mehr, sondern weniger Waffen geben sollte», sagte einer von ihnen. Zudem handele es sich ja nicht um die Ankündigung einer konkreten Absicht der USA. Auf die Frage, ob die Nato in Erwägung ziehe, US-Waffenhilfe für libysche Rebellen mit Gewalt zu stoppen, hieß es: «Wir lesen die Resolution so, dass sie alle Waffenlieferungen nach Libyen verbietet. Und wir kontrollieren das Embargo völlig unparteiisch.»
Das ist mit Sicherheit auch die Lesart Russlands. Außenminister Sergej Lawrow verlangte von der Nato bereits Auskunft über Angriffe auf Gaddafi-treue Truppen. Mit denen will eine Reihe von Nato-Mitgliedern die oppositionellen Zivilisten vor Gaddafi schützen. Diese Militäraktionen – noch dazu, wenn dabei auch Zivilisten getötet werden – seien ein Verstoß gegen die UN-Resolution, warnte Lawrow.
Kreative Auslegung
Sein Botschafter Rogosin formulierte: «Die Nato ist jetzt für die Umsetzung der Bestimmungen dieser Resolution verantwortlich. Und es ist wichtig, dass die Nato jetzt keine kreative Auslegung der Bestimmungen betreibt.» Russland wolle «volle Transparenz» darüber, wie der Nato-Einsatz «sich weiter gestalten» werde. Im Moment allerdings sieht es aus, als wisse die Nato selbst das noch wirklich.
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