Es war kein einfaches Unterfangen, den Mann zu interviewen, der hinter dem Blutbad vom 9. August 1969 in Hollywood steckte. In jener Nacht war der 32-jährige Charles Manson mit vier Mitgliedern seiner «Familie» – so nannte er seine Mitbewohner in der Hippie-Kommune, die er gegründet hatte – zum Haus des Regisseurs Roman Polanski gefahren. In einer wilden Gewaltorgie wurden die im achten Monat schwangere Ehefrau des Regisseurs, Sharon Tate, und drei Gäste mit Küchenmessern regelrecht abgestochen. In der folgenden Nacht besuchten Manson und seine Anhänger die Villa des betuchten Ehepaars LaBianca. Auch sie wurden brutal hingerichtet.
Manson hatte keinen dieser sieben Menschen eigenhändig ermordet, wie sich später vor Gericht herausstellte. Doch der Richter sah im charismatischen Sektenführer den geistigen Urheber der Massaker. Der Angeklagte gab selbst zu Protokoll, am ersten Abend seinen Mitbewohnern gesagt zu haben: «Geht und macht etwas Böses.» Von Töten sei dabei nie die Rede gewesen. Dennoch wurde er zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
«Hallo, Vanity Fair?»
Seit über 40 Jahren sitzt Charles Manson seine Strafe im kalifornischen Corcoran State Prison ab. Nachdem er während zwei Jahrzehnten geschwiegen hatte, gewährte er nun einem Journalisten der spanischen Ausgabe der «Vanity Fair» ein Interview. Eineinhalb Jahre nachdem der Spanier seine Interview-Anfrage gestartet hatte, klingelte eines Abends sein Telefon: «Hallo, Madrid? Ist das Vanity Fair?», tönte die tiefe, raue Stimme Mansons. Insgesamt fanden vier Gespräche statt, die jeweils eine Viertelstunde dauerten. Immer wieder kam dazwischen die Ansage der Strafanstalt: «Dieser Anruf wird aufgenommen. Sie sprechen mit einem Insassen einer Strafanstalt in Kalifornien.»
Die Gespräche verlaufen holprig. Nicht zuletzt, weil Manson auf viele Fragen mit wirren Sätzen antwortet. Es beginnt bereits bei der ersten einfachen Frage: «Wer ist heute Charles Manson?» «Charles Manson ist die ganze Welt, die Bäume, die Luft, die Natur, der Meeresgrund und der Himmel. Jemand, der niemals stirbt, jemand, der schon tot ist. Er ist alle Gräber, weil es keine Zukunft gibt. Es gibt nur das Jetzt. Und Charles Manson ist das Jetzt.»
Hinter Gittern – und doch «frei»
Der Journalist von «Vanity Fair» versucht dennoch, bei den irdischen Dingen zu bleiben und fragt, ob Manson sich für die Morde verantwortlich fühle. «Ich bin für alles verantwortlich: für mein Dasein, für meine Bewegungen, für meine Gedanken. Ich würde nie etwas gegen mich selbst tun, denn das wäre eine Sünde gegen Gott. Ich bin doch nicht blöd, Alter!» Wieso er denn nie Reue gezeigt habe, das hätte seine Strafe reduziert, will der Journalist wissen. Nun, meint Manson dazu, es drehe sich nicht um seine Befreiung. «Die Befreiung ist in deinem Geist. Das Gefängnis ist ein Gedanke.»
Irgendwo fühle er sich als Märtyrer, sagt er. «Aber auch als Opfer. Als Täter. Als Beute, beides. Ich bin alles. Ich bin nichts.» Heute kann er allerdings nicht sagen, wieso er seine Anhänger am zweiten Abend zur Villa der LaBiancas gefahren hat – wissend, was sie am Abend zuvor angerichtet hatten. «Das ist, wie wenn Sie mich heute fragen würden, wieso ich im Jahr 1946 ein Glace gegessen habe. Ich weiss es nicht mehr, das ist schon 40 Jahre her. Aber zu meiner Entlastung: Das waren nicht meine Anhänger.» Es seien nur seine Mitbewohner gewesen, klärt er auf. «Ich lebe in der Unterwelt. Ich sage keinem, was er zu tun hat. Ich bin ein böser Mann. Schmutzig. (…) Ich bin das ganze Böse.»
Der «Anwalt des Teufels» soll nun helfen
In seiner Vorstellung will Charles Manson kein Verbrechen begangen haben, erzählt John Douglas, ein ehemaliger FBI-Agent, der jahrelang das Verhalten Mansons untersucht hat und selber mehrmals mit ihm sprechen konnte. «Er ist überzeugt, nichts getan zu haben. In seinem Kopf ist er unschuldig.» Und doch, erstmals seit 42 Jahren, hat er die Hilfe eines Anwalts akzeptiert: Giovanni DiStefano, der nach der Verteidigung von Saddam Hussein und Slobodan Milosevic den Übername «Der Anwalt des Teufels» bekam, hat sich seines Falles angenommen.
Im Namen seines Mandanten hat DiStefano bereits eine Klage vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte eingereicht. Gleichzeitig schickte er einen Appell an US-Präsident Barack Obama – von dem Manson allerdings nicht viel hält: «Er ist ein Sklave von Wall Street.» Obama sei «ein Idiot», der nicht merke, dass «sie mit ihm spielen».
«Ihr werdet alle nicht mehr da sein»
Anwalt DiStefano wird auf einen langjährigen Gegner von Mansons Befreiung treffen: Staatsanwalt Vincent Bugliosi, der sich schon 1969 für Mansons Todesurteil eingesetzt hatte, ist auch heute noch überzeugt, dass der ehemalige Hippie für die Morde verantwortlich ist. «Die Tatsache, dass er sich physisch nicht beteiligte, befreit ihn nicht von seiner Verantwortung. Denn sonst hätte auch Hitler behaupten können, er habe niemanden umgebracht, wenn er sich vor dem Nürnberger Tribunal hätte verantworten müssen.»
Auch FBI-Agent Douglas sträubt sich gegen eine Freilassung Mansons: «Er würde nie selbst schießn, aber er könnte andere dazu bringen, dies zu tun. Sein Körper muss hinter Gittern bleiben, weil sich trotz seiner langen Haftstrafe nichts in seinem Kopf verändert hat», warnt er.
Gefragt, wie er bei den Leuten in Erinnerung bleiben wolle, sagt Manson: «Es wird keiner mehr übrig bleiben. Du scheinst es nicht zu verstehen. Aber ich werde es dir erklären: Eure Luft stirbt aus. Die Autos und die fossilen Brennstoffe vergiften die Luft. Und da lässt sich nichts mehr machen. Also wird es auch kein Hirn geben, das mir nachtrauern könnte. Ihr werdet alle nicht mehr da sein.» Und wie wäre ein Leben in Freiheit für den inzwischen 76-jährigen Manson? «(…) Wenn ich schlafen gehe, bin ich nicht mehr zwischen diesen Wänden», lacht er laut auf. «Ich bin um dich, in dir. Ich bin die ganze Welt.»
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