In Frankreichs Medienlandschaft vollzieht sich ein radikaler Umbruch: Als erste Zeitung des Landes erscheint das defizitäre französische Traditionsblatt «France-Soir» vom nächsten Jahr an nur noch im Internet. Der Fall, so die Befürchtungen von Gewerkschaften, könnte Modellcharakter haben. «Alle großen Zeitungen verlieren Geld», sagt der junge Eigentümer, der russische Millionär Alexander Pugatschow, im Interview der Zeitung «Le Figaro» (Samstag). Der Online-Beschluss sei unumkehrbar: «Ich habe insgesamt mehr als 70 Millionen Euro investiert … ‹France-Soir› dürfte dieses Jahr noch 19 Millionen verlieren.»
Pugatschow zieht Konsequenzen aus einer sich ändernden Medienlandschaft, in der weltweit die Zeitungsauflagen dahin schmelzen. In den USA haben Verlage bereits ähnliche Entscheidungen getroffen. Gewerkschaftsvertreter beklagten bei Demonstrationen am Freitag die tiefe Krise, in die nicht nur «France-Soir» gestürzt sei. Auch andere Blätter kriseln – etwa die Wirtschaftszeitung «La Tribune». Sie hat den Urlaubsmonat August für einen ersten Test genutzt und war zwei Wochen nur online erschienen.
Symbolcharakter
Der Fall «France-Soir» hat in mehrfacher Hinsicht Symbolcharakter. Er steht für eine Zeitung, die nach diversen Besitzerwechseln und einer lange als orientierunglos geltenden Verlagslinie in die völlige Bedeutungslosigkeit gefallen war. Das aus einer Untergrundzeitung nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangene Blatt war in den ersten Jahrzehnten seiner Existenz extrem populär. Mit damals knapp 400 Journalisten verkaufte sich «France-Soir» bei Top-Ereignissen bis zu zwei Millionen mal. Ab 1. Januar soll die Belegschaft mit gerade mal zehn Prozent der einstigen Stärke nur noch für Online produzieren, nachdem die Auflage der Printausgabe trotz eines Relaunches bei 40.000 Exemplaren herumkrebst.
Der heutige Eigentümer hatte die Zeitung Anfang 2009 kurz vor der Einstellung mit einer Auflage von 20.000 gekauft und sie im vergangenen Jahr immerhin noch auf 70.000 steigern können. Pugatschow hat mittlerweile ganz andere Ziele: «Unser Ziel für die kommenden zwei Jahre ist es, in die Top 10 der Informations-Webseiten vorzustoßen; wir werden 10 Millionen (Euro) investieren, um Qualitätsinhalte auf allen Ebenen zu produzieren.» Wie die neue Online-Zeitung konkret aussehen soll und vor allem wie sich sich finanzieren soll, erläuterte er zunächst nicht. In vier Jahren will er aber die Verlustzone verlassen haben.
Nicht die erste reine Internet-Zeitung
Auch wenn «France-Soir» die erste französische Zeitung ist, die sich von der Print-Ausgabe verabschiedet: Die erste reine Internet-Zeitung ist sie nicht. Denn eine Gruppe früherer «Le Monde»-Journalisten hat mit dem Online-Angebot «Mediapart» erfolgreich den Weg gewiesen und in diesem Jahr mit rund 50.000 Abonnenten die Rentabilitätsschwelle erreicht. Die hohe Zahl von Exklusivgeschichten etablierte Mediapart in der französischen Medienlandschaft. Zu den drei täglichen Ausgaben gehört neben eigenrecherchierten Artikeln auch ein Format, bei dem die Leser in Blogs und Kommentaren zur Information beitragen.
Ein ähnliches Format will die «Le Monde»-Mediengruppe nun gemeinsam mit der US-amerikanischen «Huffington Post» erproben. Auch «Le Monde» hatte vergangene Woche mehrere Tage lang mangels Printausgabe ihre Leser auf ihre Webseite verwiesen. Der Grund war jedoch keine Verlagsentscheidung, sondern ein Streik in der defizitären Druckerei «Le Monde Imprimerie» in Ivry (bei Paris). Sie steht vor einer tiefgreifenden Umstrukturierung mit Entlassungen und Versetzungen der insgesamt rund 225 Mitarbeiter.
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