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Falsche Zahlen und schlechte Standortpolitik

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LUXEMBURG - Zahlen lügen nicht. Doch je nachdem, welche volkswirtschaftlichen Kennzahlen man in den Vordergrund stellt, kommt ein anderes Bild der ökonomischen Lage eines Landes heraus.

Der vor kurzem erschienene Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit Luxemburgs weist diesbezüglich erhebliche methodologische Schwächen auf. Das ergibt eine detaillierte Begutachtung des Berichts durch die Arbeitnehmer-Kammer.

Aus dem kürzlich vom „Observatoire de la compétitivité“ vorgestellten Rapport geht hervor, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit Luxemburgs 2010 im Vergleich zum Vorjahr leicht verschlechtert hat. Dabei fiel das Großherzogtum von Platz 9 auf Platz 10 innerhalb der Europäischen Union zurück.

Tücken

Doch dieses Klassement hat seine Tücken. Denn nicht nur hat das Observatoire über die Jahre verschiedene Änderungen bei der Bewertung bestimmter Kriterien vorgenommen, was deren Vergleich unbrauchbar macht, sondern es werden darüber hinaus auch noch gewisse Entwicklungen falsch bewertet.

„Vieles, was in dem ‹Bilan Compétitivité› drinsteht, hat eine ideologische Komponente“, so Sylvain Hoffmann von der „Chambre de salariés“. Es sei klar, dass man mit diesen Zahlen eine bestimmte Politik verfolgen wolle, die die wirtschaftliche Situation Luxemburgs schlechter darstellt, als sie in Wirklichkeit ist. Das zeige sich am Beispiel der Inflation. Diese lag 2010 in Luxemburg zwar mit 2,3 Prozent leicht höher als der EU-Durchschnitt von 2,1 Prozent. Diese geringe Differenz wirkt sich nach Einschätzung des „Observatoire de la compétitivité“ negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit des Großherzogtums aus. „Was dabei aber nicht berücksichtigt wird, ist die Tatsache, dass Luxemburg 2010 ein wesentlich höheres Wirtschaftswachstum als die anderen europäischen Länder verzeichnen konnte, und die höhere Inflation nur eine Konsequenz des stärkeren Wachstums ist“, so Hoffmann weiter.

Irland schneidet bei den Inflationszahlen in der EU am besten ab. Allerdings litt die Grüne Insel im vergangenen Jahr auch an einer schweren Rezession, was die sinkenden Preise mit verursachte. In der Tat gab es in Irland 2010 eine Deflation, also ein allgemein sinkendes Preisniveau, was für das Wirtschaftswachstum extrem gefährlich ist, weil es eine Konsum- und Investitionsspirale nach unten auslösen kann. Dennoch wird die hochgefährliche irische Deflation vom „Observatoire“ als positiv für die Wettbewerbsfähigkeit dargestellt.

Teilzeitarbeit

Kritisch sieht man bei der „Chambre des salariés“ auch die Bewertung der Teilzeitarbeit. „Ein hoher Anteil von Beschäftigten, die in Teilzeit arbeiten, wird vom ‹Observatoire› als positiv eingestuft“, so Hoffmann.

„Denn dort geht man davon aus, dass Teilzeitarbeit Flexibilität der Arbeitnehmer bedeutet.“ Allerdings sei bei den meisten Menschen, die in Luxemburg in Teilzeit beschäftigt sind, nicht der Wunsch nach mehr Flexibilität ausschlaggebend, sondern ökonomische oder familiäre Zwänge. So sei der Großteil der Teilzeitbeschäftigten im Großherzogtum immer noch Frauen.

Ähnlich problematisch sieht Hoffmann die Bewertung der Lohnstückkosten durch das „Observatoire de la compétitivité“. „Ursprünglich wurden die realen Lohnstückkosten berücksichtigt.

Lohnstückkosten

Dann ging das „Observatoire“ klammheimlich dazu über, nicht mehr die realen, sondern die nominalen Lohnstückkosten für ihre Berechnungen zu nehmen. Und das, obwohl sogar das Statec sagt, dass die realen Lohnstückkosten wesentlich aussagekräftiger sind, wenn man einen Indikator für Wettbewerbsfähigkeit erstellen will.“

Außerdem hat sich Luxemburg bei den Lohnstückkosten im Vergleich zu 2009 um elf Plätze innerhalb der EU verbessert.

Platz 1

Luxemburg steht außerdem unangefochten auf Platz 1, was die Produktivität pro Arbeitsstunde im Vergleich zu einer Arbeitsstunde in den USA anbetrifft. Bei diesem Kriterium liegt das Großherzogtum weit über dem EU-Durchschnitt und deutlich vor Deutschland, Frankreich und Belgien. Obwohl Luxemburger Unternehmen deutlich geringer besteuert werden als deutsche, französische oder belgische, sieht das „Observatoire de la compétitivité“ bei den Steuersätzen im Großherzogtum einen Wettbewerbsnachteil.

„Das ist ein ideologisches Problem, wenn gesagt wird, dass es gut ist, wenn Steuern so niedrig wie möglich sind“, so der Präsident der Arbeitnehmer-Kammer, Jean-Claude Reding. „Wir könnten die Steuer auch auf Null runterfahren, aber dann frage ich mich, wie wir dann noch die öffentliche Forschung und Entwicklung finanzieren wollen, die auch ausschlaggebend für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist.“

Unternehmertum

Äpfel mit Birnen scheint das „Observatoire“ auch im Bereich Unternehmertum zu vergleichen. So hat Luxemburg mit 5,65 Prozent der Arbeitskräfte zwar einen geringeren Anteil an Unternehmern als andere Länder, was aber an der wirtschaftlichen Struktur des Landes liegt.

„In Griechenland sind 35,17 Prozent der arbeitenden Menschen Unternehmer“, so Jean-Claude Reding weiter. „Das liegt aber daran, dass auch der in Griechenland vergleichsweise höhere Anteil an Landwirten mit in das Unternehmertum hineingerechnet wird. Außerdem gehört Griechenland ja nicht unbedingt zu den Ländern, denen man eine hohe Wettbewerbsfähigkeit zuschreibt.“ Und dennoch bewertet das „Observatoire“ bezüglich des Unternehmertums Griechenland als das wettbewerbsfähigste Land in der EU.

Schulbildung

Als besonders kritikwürdig erachtet die „Chambre des salariés“ auch die Tatsache, dass die Ausgaben für die Schulbildung ein Negativkriterium sein sollen. Luxemburg investiert pro Schüler/Student und pro Jahr am meisten von allen EU-Ländern. „Am Anfang wurden hohe Ausgaben für die Bildung noch als etwas Positives vom „Observatoire“ gesehen, heute hingegen sollen hohe Ausgaben in diesem Bereich schlecht für unsere Wettbewerbsfähigkeit sein“, so Reding weiter. Dadurch, dass hohe Ausgaben für die Bildung als negativ bewertet werden, kommt in diesem Bereich Luxemburg nunmehr auf Platz 15; würden sie als positiv bewertet, stünde das Land auf Platz 2.

„Wenn wir die Hauptpunkte, wie die Bildung, richtig bewerten würden, käme Luxemburg auf Platz 5 und nicht auf Platz 10“, so Sylvain Hoffmann. Das Großherzogtum gehöre damit zu den wettbewerbsfähigsten Ländern in Europa. „Wir finden, dass das Thermometer, um die Wettbewerbsfähigkeit zu messen, nicht gut ist“, so Hoffmann weiter. „Wenn unser Thermometer ständig 30 Grad anzeigt und draußen liegt aber Schnee, dann müssen wir uns irgendwann mal fragen, ob wir nicht das Thermometer wegschmeißen sollten.“

Dem stimmt auch Jean-Claude Reding zu. „Je nachdem, welche Kriterien wir anwenden, kommen andere Ergebnisse heraus.“ Die Luxemburger Wirtschaftspolitik sei seit 2005 auf diesen Wettbewerbsindikatoren aufgebaut. „Damit kann man keine gute Standortpolitik machen.“