ie Spannung um die Moskauer Festivalpremiere des kremlkritischen Dokumentarfilms «Chodorkowski» hielt an, bis im Kino nahe der Machtzentrale das Licht ausging. Schon im Vorfeld bekamen die Organisatoren des «Artdocfests» mehr Aufmerksamkeit, als ihnen lieb sein konnte. Denn aus Angst vor Ärger mit Behörden setzten viele russische Kinos den heiklen Film des Berliner Regisseurs Cyril Tuschi gar nicht erst an. Doch Festivalchef Vitali Manski hielt an den Plänen fest. Und der Publikumsansturm war gewaltig.
Das Festivalkino Chudoschestwenny musste den Film um Russlands berühmtesten Häftling und Ex-Ölmilliardär Michail Chodorkowski
gleich zweimal hintereinander zeigen. «Mutig!», weil so nah am Kreml und noch dazu kurz vor der Parlamentswahl an diesem Sonntag, lobten viele Zuschauer. Nicht wenige hatten wohl erwartet, dass die russische Version des schon in Deutschland, Frankreich und den USA gezeigten Streifens doch nicht ganz so einfach über die Leinwand flimmert. Tuschi erhielt am Ende viel Beifall von den 600 Zuschauern.
«Molodez»
Freilich fiel das geplante Publikumsgespräch im Saal wegen der Zusatzvorstellung aus. Doch im Foyer dankten viele Russen dem Regisseur. «Sie haben unsere Geschichte und unser Leben verfilmt. Danke dafür», sagte eine Zuschauerin. Andere riefen immer wieder «Molodez!» – zu deutsch: Prachtkerl. Tatsächlich wagen sich einheimische Regisseure und Journalisten aus Angst vor Verfolgung kaum an die kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte.
«Ich glaube, es tut sich etwas in Russland, die Menschen werden mutiger. Auch in St. Petersburg hat ein Kinobetreiber den Streifen ins Programm genommen. Viele Russen wollen den Film sehen», sagte Tuschi der Nachrichtenagentur dpa. Inzwischen zeigen 17 Kinos im Land die Doku, heißt es auf der Internetseite khodorkovsky-film.ru. Aber Selbstzensur und vorauseilender Gehorsam seien leider weiter verbreitet in Russland, sagte Emma Abajdullina vom Moskauer Filmtheater Eldar dem kremlkritischen Magazin «The New Times».
Großereignis
Tuschi hat den Fall des einst reichsten Mannes Russlands porträthaft mit vielen Zeitzeugen nacherzählt – von der weltweit beachteten Festnahme 2003 bis zum zweiten Prozess gegen den Ex-Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos. Unter anderem wegen Geldwäsche ist Chodorkowski verurteilt. 2016 soll er freikommen. Zwar konnten die Moskauer dem Film nichts Neues abgewinnen. Aber den dichten Überblick zu dem komplizierten Fall feierte Moskaus Kulturelite als Großereignis seltener politischer Kunst.
So kurz vor den Wahlen wollte zumindest niemand der Organisatoren die Premiere als Provokation verstanden wissen. Immerhin gilt Chodorkowski nach wie vor als schärfster Kritiker des russischen Regierungschefs Wladimir Putin. Dessen Partei Geeintes Russland hofft erneut auf einen haushohen Sieg. Auch Tuschi lässt sich im Foyer keine öffentliche Meinungsäußerung über Putin entlocken. Chodorkowski schickte dem Regisseur aus dem Gefängnis einen Dankesgruß für den mit deutschen Steuergeldern finanzierten Film.
Protagonisten
In seinem Film zeichnet Tuschi vor allem nach, wie die beiden machtbewussten und aus Sicht von Zeitzeugen durch und durch arroganten Protagonisten gegeneinander kämpfen. Auf der einen Seite: der Multimilliardär Chodorkowski, der den damaligen Kremlchef öffentlich bloßstellt und die Opposition unterstützt. Auf der anderen Seite: Putin, der in Chodorkowski einen Rivalen sieht, den er zu Fall bringt – aber doch nicht menschlich brechen kann.
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