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Der Hightech-Spion aus dem Kalten Krieg

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Nach der Machtübernahme Kim Jong-Uns fragt sich die Welt, wie es in Nordkorea weitergeht. Um Überraschungen auszuschließen, setzen die USA auf einen legendären Jet: die U-2.

Die Welt stand am Rande eines Atomkriegs, als Major Richard S. Heyser am 14. Oktober 1962 in Florida abhob. Der Pilot sollte beweisen, dass die Sowjetunion im Begriff war, auf Kuba Atomraketen zu stationieren – keine 150 Kilometer vor der amerikanischen Küste entfernt. Die 928 Bilder die Pilot Heyser von seinem Aufklärungsflug an diesem leicht bewölkten Morgen zurückbrachte, schlugen in Washington ein wie eine Bombe. Die außergewöhnlich scharfen Aufnahmen von den Bauarbeiten an SS4-Raketenabschussrampen veranlassten Präsident John F. Kennedy aufs Ganze zu gehen. Er forderte Moskau ultimativ auf, alle Startvorrichtungen wieder abzubauen und ordnete eine Seeblockade vor Kuba an. Jedes russische Schiff mit Waffentechnologie an Bord sollte an der Weiterfahrt gehindert werden. 13 Tage hielt die Welt die Luft an, dann gaben die Sowjets ihre Atompläne in der Karibik auf und zogen von dannen.

Dass Washington der Welt die dunklen Machenschaften ihres grossen Rivalen unwiderlegbar beweisen konnte, verdankte sie einem technischen Meisterstück amerikanischer Flugzeugbaukunst. Major Heyser überflog Kuba an jenem Oktobertag in einer U-2, dem fortschrittlichsten Spionageflugzeug der damaligen Zeit. Sie war unter der Vorgabe entwickelt worden, feindliche Gebiete in großer Höhe außerhalb der Reichweite von Radar, Kampfjets und Boden-Luft-Raketen zu überfliegen und dabei jeden Zentimeter des darunterliegenden Geländes auf Film zu bannen. Heraus kam 1955 ein filigran wirkender Jet, der bis zu 13 Stunden in der Luft bleiben und bis in eine Höhe von 21.300 Meter aufstiegen kann – in vermeintlicher Sicherheit vor feindlichen Abwehrmaßnahmen.

Mit der Unzerstörbarkeit war es allerdings nicht weit her. Bereits zwei Jahre vor Heysers Mission, am 1. Mai 1960, war eine U-2 mit dem CIA-Piloten Gary Powers an Bord über dem Ural von einer sowjetischen Flugabwehrrakete abgeschossen worden. Während Moskau seinen Coup genüsslich auskostete, erfuhr der Rest der Welt erstmals von der amerikanischen Wundermaschine. Eine Legende war geboren.

Wendiger als Satelliten

Und die Legende fliegt noch immer. So drehen die geheimnisvollen schwarzen Flugzeuge seit über 35 Jahren ihre Runden hoch über Nordkorea und beobachten dort jeden Schritt des 1,2 Millionen Mann starken Heers der Kims. Besonders der aktuelle Übergang vom Regime des verstorbenen Kim Jong-Il zu dem seines Sohnes Kim Jong-Un beunruhigt die US-Militärs. Die Dienste der U-2 sind in diesen unsicheren Zeiten gefragt wie eh und je. Noch immer wird ein großes Geheimnis um die genaue Konfiguration und die Missionsziele der Spionagejets gemacht. An an einem der raren Pressetermine auf dem Luftwaffenstützpunkt in Osan, Südkorea, verrät Mitte Februar keiner der Offiziere, wohin die drei dort stationierten U-2 fast täglich abheben. Auch ihre Namen verraten die Piloten den Journalisten vor Ort nicht. Rang und Vorname müssen genügen.

Doch weshalb vertraut die modernste Armee der Welt im Zeitalter von Spionagesatelliten und Überwachungsdrohnen nach wie vor auf einen Flugzeugtyp, der Anfangs der 1950er Jahre entwickelt worden ist? Im Gegensatz zu Satelliten können die U-2 in kürzester Zeit in ein Zielgebiet dirigiert werden und dort über lange Zeit bleiben. Dass diese Aufgabe nicht von der neuesten US-Drohne «Global Hawk» übernommen wird, hat dagegen einen deutlich profaneren Grund. Das unbemannte Fluggerät, dass 36 Stunden in 18.000 Metern Höhe verharren kann, ist zurzeit schlichtweg zu teuer. Deshalb hat die US-Luftwaffe die Pensionierung der U-2 verschoben: Sie soll frühestens 2020 von den Global Hawks abgelöst werden.

Spektakuläre Landung

Die in Osan eingesetzten U-2 stammen aus den achtziger Jahren und sind technisch auf dem allerneuesten Stand. Seit Mitte der 1990er Jahren hat die Luftwaffe rund 1,7 Milliarden Dollar in die Aufrüstung der 31 Flugzeuge gesteckt, die noch im Dienst sind. Doch trotz dieser Aufrüstung ist die Wundermaschine ihr grösstes Handicap nicht losgeworden. Sie bleibt unglaublich schwierig zu landen. Um dem Jet seine enorme Flughöhe zu ermöglichen – er fliegt mehr als doppelt so hoch wie ein Verkehrsflugzeug – setzten die Ingenieure in den 1950er Jahren konsequent auf Leichtbau. Um das Gesamtgewicht trotz 2,5 Tonnen Aufklärungstechnik an Bord möglichst tief zu halten, gingen sie beim Fahrwerk Kompromisse ein.

Die einziehbaren Räder der U-2 sind unter dem schmalen Rumpf wie bei einem Velo hintereinander angeordnet. Für jeden Start wird die U-2 deshalb zusätzlich mit abwerfbaren Flügelstützrädern, sogenannten Pogos, ausgerüstet. Ein Luxus, der den Piloten bei der Landung fehlt. Das macht die Maschine «zu einem, wenn nicht sogar zu dem am schwierigsten zu landenden Fluggerät», wie Luftwaffe-Major Carl gegenüber der Nachrichtenagentur AP festhielt.

Um das schmale Flugzeug mit einer Spannweite von über 30 Metern auf den mittig angeordneten Rädern landen zu können, müssen die Piloten vom Bodenpersonal exakt eingewiesen werden. Bei seiner Rückkehr wird das Flugzeug deshalb von hochgezüchteten Pontiacs mit anfänglich rund 200 km/h in Empfang genommen und bis zum Stillstand begleitet. Hält der Jet an, kippt er sanft auf eine Seite. Jetzt muss ihn die Boden-Crew mit viel Körpereinsatz wieder aufrichten und die Stützräder montieren, bevor er in seinen Hangar rollen kann. Es ist ein Beweis für die Unverzichtbarkeit dieses Relikts aus dem Kalten Krieg, dass die US-Luftwaffe noch immer – fast sechs Jahrzehnte nach dem Erstflug – einen solchen Aufwand für die U-2 betreibt.