Mit Viren assoziiert man normalerweise nichts Gutes. Sie sind Auslöser mehr oder weniger schwer verlaufender Krankheiten, bringen im schlimmsten Fall sogar den Tod: Einige dieser infektiösen Partikel sind sogar für unterschiedliche Krebserkrankungen verantwortlich. Schon seit vielen Jahren ist bekannt, dass etwa Humane Papillomviren (kurz HPV) zu einem unkontrollierten Tumorwachstum im Gebärmutterhals beitragen können.
Doch wo Schatten ist, da ist auch Licht: Seit einigen Jahren wird versucht, Viren im Kampf gegen Krebs einzusetzen. Daraus ist ein völlig neuer wissenschaftlicher Zweig entstanden, die Tumorvirologie.
Die sogenannten onkolytische Viren sollen mit dem Ziel eingesetzt werden, Tumorzellen zu infizieren und sie dann zu zerstören. Dabei stehen die Forscher des noch jungen Wissenschaftsgebiets vor einem grossen Problem: Für den gewünschten Prozess gilt es Viren zu finden, die – wenn sie gesunde Zellen angreifen – dem menschlichen Organismus möglichst wenig Schaden zufügen.
Mit Viren gegen den Tumor: Im Tiermodell hats funktioniert
Als besonders Hoffnungsvoll entpuppten sich in diesem Zusammenhang Parvoviren. Diese zählen zu den tierpathogenen Erregern und sind damit ausschliesslich bei Tieren in der Lage, Krankheiten auszulösen.
Jean Rommelaere vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) arbeitet seit 1992 mit Parvoviren. Im Tiermodell gelang es ihm 2010 nachzuweisen, dass Glioblastome, die zu den häufigsten und zugleich aggressivsten Hirntumoren zählen, sich durch den Einsatz von Parvoviren erfolgreich behandeln lassen. «Damit haben wir demonstriert, dass eine Krebsbehandlung mit Parvoviren funktionieren kann. An dieser Stelle wollten wir unbedingt weitermachen, weil wir die grosse Chance sahen, mit unserer Virustherapie auch Menschen helfen zu können», wird Rommelaere von Spiegel Online zitiert.
Nun sollen erste klinische Tests zeigen, ob sich der Einsatz der Viren auch bei Menschen mit Hirntumoren bewährt: Zum ersten Mal weltweit wurden die Erreger bei drei Patienten in Heidelberg eingesetzt. Geleitet wurde die Behandlung von Andreas Unterberg und Karsten Geletneky von der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg. Wie bei klinischen Studien üblich, muss während der ersten Phase die Verträglichkeit des Verfahrens nachgewiesen werden: «Erst wenn die Sicherheit der Therapie nachgewiesen ist, wird es in einer zweiten Phase darum gehen, die Wirksamkeit eingehend zu erforschen», sagt Unterberg, der hofft, durch den Einsatz der Viren die Überlebenszeit der Glioblastom-Patienten zu erhöhen. Bei diesem Hirntumor liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate der Betroffenen bei unter fünf Prozent.
Eine Studie, zwei Versuchsgruppen
Die erste Versuchsphase soll laut der Mediziner im Dezember 2012 abgeschlossen sein. Die Zahl der Probanden wird im Verlauf der Studie von drei auf 18 erhöht. Geplant ist, die Patienten in zwei Gruppen einzuteilen: Den neun Personen der ersten Gruppe wird ein Katheter direkt in den Tumor gelegt, um die Viren direkt in die Geschwulst einzuschleusen. Zehn Tage nach der Behandlung wird der Tumor operativ entfernt. Nach der Resektion erfolgt eine Injektion mit Viren an dem Ort, an dem sich zuvor der Tumor befand.
Den Probanden der ebenfalls aus neun Personen bestehenden Gruppe II, werden täglich über eine Dauer von fünf Tagen Viren in die Vene gespritzt. Wie bei Gruppe I wird auch bei Gruppe II nach zehn Tagen operiert und die Ränder des verbliebenen Lochs im Gehirn werden mit Viren behandelt. Mit diesem Versuch wollen die Forscher herausfinden, ob die Viren bis zum Tumor vordringen können um dort ihr heilendes Werk zu verrichten.
Ob, beziehungsweise wie gut die Parvoviren gegen die aggressiven Tumorzellen vorgehen, bleibt zunächst unklar: Zuverlässige Ergebnisse zur Wirksamkeit der Therapie wird es voraussichtlich erst in einigen Jahren geben.
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