Gerade einmal sechs Wochen ist es her, dass die Europäische Raumfahrtorganisation Esa den zehnten Geburtstag ihres größten Erdbeobachtungssatelliten feierte. Nun sieht es so aus, als ob «Envisat» früher als gedacht zu Weltraumschrott wird. Seit Sonntag gibt es keinerlei Kontakt mehr zu dem 8,2 Tonnen schweren Hightech-Gerät, das vor allem mit seinen Messungen zum Klimawandel bekannt wurde. Ursache unklar, mussten Esa-Experten am Freitag eingestehen.
Wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass «Envisat» noch gerettet werden kann, will in der Esa-Zentrale niemand sagen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, lautet das Motto und so wird derzeit mit Hochdruck daran gearbeitet, den Kontakt zum Satelliten wieder herzustellen. «Ich denke immer positiv», sagte der zuständige Esa-Direktor Volker Liebig am Freitag und erinnerte an den Fall des Satelliten «Goce». Bei ihm gab es 2010 mehr als einen Monat lang Computerprobleme. «Damals waren wir ebenfalls kurz davor, zu glauben, dass er verloren ist», erklärte Liebig. Und dann sei doch eine Lösung gefunden worden.
Problem ist nicht bekannt
Bei «Envisat» ist bislang allerdings nicht einmal das Problem bekannt. Klar scheint nur, dass der Defekt nicht von einem Meteoriten oder Weltraumschrott verursacht wurde. Von einem Fraunhofer-Institut zur Verfügung gestellte Radarbilder zeigen keinerlei Schäden an den Solarzellen oder an anderen Teilen des Satelliten. Vermutlich gebe es Probleme bei der Stromversorgung, schätzen Esa-Experten.
Für Wissenschaft und Forschung wäre das Ende von «Envisat» ein bitterer Verlust – auch wenn er bereits doppelt so lange arbeitet wie beim Bau geplant. Mit seinen zehn Instrumenten, darunter dem Mikrowellenradar «Asar», beobachtete der Satellit in den vergangenen zehn Jahren die Landmassen der Erde, die Atmosphäre, die Ozeane und die Polkappen. Nahezu in Echtzeit war es möglich, die Temperatur der Meeresoberfläche, weltweite Feuer-Landkarten sowie Ozon-Vorhersagen im Internet bereitzustellen. Rund 2000 wissenschaftliche Veröffentlichungen beruhen auf den von «Envisat» gesendeten Daten.
Erst Ende 2013 sollte Schluss sein
Zuletzt zeigten Forscher mit Hilfe von «Envisat»-Bildern, dass die internationale Schifffahrt insgesamt mehr Luftschadstoffe als der weltweite Flugverkehr produziert. Andere Aufnahmen bewiesen, dass der verheerende Tsunami vor Japans Küste in der Antarktis neue Eisberge entstehen ließ. 2006 belegten Bilder nach Angaben von Esa-Forschern eine «unnormale und dramatische Situation der Eisschmelze» auf der Nordhalbkugel. Der Plan sah vor, dass «Envisat» bis mindestens Ende 2013 Daten liefert.
Ein Teil des aktuellen Datenausfalls kann nach Esa-Angaben über Kooperationen mit anderen Raumfahrtorganisationen aufgefangen werden, aber weitem nicht der gesamte. Dies ist vor allem deswegen bitter, weil der erste europäische Nachfolgesatellit «Sentinel-1» frühstens in der zweiten Jahreshälfte 2013 starten wird. Bis heute wird in Brüssel über die Finanzierung des laufenden Betriebs gestritten.
Das künftige Schicksal von «Envisat» hingegen ist klar. Sollte die Kontaktaufnahme nicht mehr gelingen, wird er als Weltraumschrott die nächsten Jahrzehnte weiter die Erde umkreisen. Frühstens in 100 Jahren wird dann mit einem Absturz gerechnet. «Als der Satellit gebaut wurde, war das Thema Weltraumschrott noch nicht aktuell», heißt es von der Esa.
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