«Es gibt keine Doktrin, dass der Leitzins nicht unter 1,0 Prozent liegen kann», sagte Peter Praet im Interview der Financial Times Deutschland. «Unsere Zinspolitik orientiert sich am Ziel der mittelfristigen Preisstabilität im Euroraum. Wir legen uns nicht im Vorhinein fest. Bei unserer Sitzung Anfang Juni haben wir die Zinsen nicht verändert, aber gleichzeitig auf Abwärtsrisiken für die wirtschaftliche Entwicklung hingewiesen.»
Viele Marktbeobachter erwarten, dass die EZB ihren Leitzins von derzeit 1,0 Prozent, dem niedrigsten Stand seit der Euro-Einführung, bei ihrer nächsten Sitzung am 5. Juli um 25 Basispunkte senkt.
Risiken
Allerdings betonte Praet ausdrücklich die Risiken, wenn der Zinssatz über einen langen Zeitraum auf sehr niedrigem Niveau verharrt. «Der einzelne Zinsschritt ist nicht das wesentliche Problem», sagte der Chefvolkswirt, der auch Mitglied des EZB-Direktoriums ist. «Es gibt aber Risiken und Nebenwirkungen, wenn Zinssätze lange sehr niedrig sind. Sie mindern den Anreiz für Banken und Unternehmen, ihre Bilanzen zu sanieren und zu restrukturieren. Hinzu kommt, dass die Profitabilität der Banken sehr niedrig ist, da die Banken ja auch ihren Sparern etwas bieten müssen. Das heißt, sie gehen in anderen Geschäftsfeldern eher größere Risiken ein, um ihre Profitabilität zu erhöhen.»
Praet zeigte sich unbeeindruckt von der Forderung des Internationalen Währungsfonds (IWF), der vergangene Woche von der EZB im Kampf gegen die Banken- und Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone eine «kreative Geldpolitik» verlangt hatte. «Der IWF ist traditionell eher geneigt, eine lockerere Geldpolitik zu fordern», sagte der Notenbanker aus Belgien. «Wir wissen, dass die Ängste der Märkte hauptsächlich auf der Unsicherheit fußen, ob die Euro-Regierungen die notwendigen Entscheidungen fällen können. Aber für Regierungen oder internationale Organisationen ist es leichter, nach der Zentralbank zu rufen als schwierige Reformentscheidungen durchzusetzen.»
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