Um diesen Titel konkurrierte Jean-Claude Juncker einst mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet. Der ist längst abgelöst. Doch der dienstälteste europäische Regierungschef scheint unersetzlich zu sein. Juncker hat den Schlüsselposten der finanzpolitischen Koordination in der Euro-Zone inne, seit dieser 2005 geschaffen wurde. Ob sein Stern aufging oder sank, hing in den letzten Jahren stärker denn je von der Gunst der beiden größten Euro-Staaten Deutschland und Frankreich ab.
Juncker hat dem Euro auf die Welt geholfen, und er kämpft jetzt für die Währungsunion in ihrer bedrohlichen Krise. Als Finanzminister des Großherzogtums Luxemburg handelte er den 1992 geschlossenen Vertrag von Maastricht mit aus, das Grundgesetz der Währungsunion. Damit hat der leidenschaftliche Europäer die Währungsunion in ihrer unvollkommenen Form ohne politische Union der Teilnehmerstaaten vorangetrieben. Die Schuldenkrise lehrt Juncker und seine Amtskollegen nun, den Konstruktionsfehler zu beheben und um die notwendige finanzpolitische Integration zu ringen.
Vermittler zwischen Paris und Berlin
Der vielsprachige Meister im Kompromisseschmieden galt lange Zeit als wichtiger Vermittler zwischen den Regierungen in Paris und Berlin. So versöhnte er Deutsche und Franzosen 1996 im Streit über den Grundkonflikt Haushaltsdisziplin versus Wachstumspolitik. Heraus kam der Stabilitäts- und Wachstumspakt, den die beiden größten Staaten der Euro-Gemeinschaft 2003 mit ihrem Aufstand gegen Strafen für steigende Defizite entscheidend schwächten. Doch je enger die Zusammenarbeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy in der Euro-Zone wurde, um so mehr war Juncker abgemeldet. Obwohl der Christdemokrat aus der gleichen Parteienfamilie stammt wie Sarkozy, war der Luxemburger diesem schon früh ein Dorn im Auge. Kurz nach seinem Amtsantritt war der französische Präsident im Sommer 2007 eigens nach Brüssel zum Finanzministertreffen gereist, um mehr Zeit zum Defizitabbau durchzusetzen. Juncker weigerte sich damals, vor dem großen Frankreich einzuknicken. Die Belehrung über die Regeln des Stabilitätspakts hat Sarkozy ihm nie vergessen.
Juncker war lange Zeit als Idealbesetzung für den Vorsitz der Eurogruppe unumstritten. Einst Ministerpräsident und Finanzminister in Personalunion leitet er zugleich die Beratungen der Minister und ist auf Augenhöhe mit den Staats- und Regierungschefs bei den Gipfeltreffen. Seine fortgesetzte Kritik an der deutsch-französischen Dominanz in der Euro-Zone ließ Juncker aber auch bei Merkel in Ungnade fallen. Ähnlich wie Sarkozy warf sie den Finanzministern vor, unter Junckers Leitung oft keine Beschlüsse zur Krisenabwehr hinzubekommen. Dem Kettenraucher, der nach stundenlangen Sitzungen der Eurogruppe bis spät in die Nacht mehrmals über Gesundheitsprobleme klagte, entglitt die Leitung des immer stärker in ein fiskalisch stabiles Nord- und ein krisengeplagtes Süd-Lager gespaltenen Euro-Clubs.
Notfalls auch Lügen
Unter Beschuss in der Öffentlichkeit geriet der bis dahin hoch angesehene Berufseuropäer im vergangenen Jahr, als er eine unausgesprochene Wahrheit vor Publikum in Brüssel bekannte. In der Währungspolitik mit ihren marktsensiblen Entscheidungen habe er hin und wieder lügen müssen, um keine Verwerfungen an den Finanzmärkten auszulösen. Mitten in der Schuldenkrise, die sich an Lügen Griechenlands über die Haushaltszahlen entzündet hatte, kam derartige Ehrlichkeit nicht gut an. Junckers Comeback setzte mit dem Machtwechsel in Frankreich ein. Der Sozialist Francois Hollande stärkte dem Luxemburger den Rücken – schon allein, um den als Alternative gehandelten Finanzminister Wolfgang Schäuble zu verhindern.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können