„Über den Glauben lässt sich offenbar nur in Widersprüchen reden. Nichts verbindet die Menschen stärker als der Glaube, und nichts trennt sie unversöhnlicher bis zur Feindseligkeit.
Der Glaube wirkt befreiend und beängstigend, er kann Berge versetzen und menschliche Existenzen einmauern; der Glaube errichtet Kathedralen und bringt die Twin Towers zum Einsturz. Ein gewaltiges, weltbewegendes Thema“, so Intendant Michael Haefliger und Präsident Hubert Achermann in ihrer Einleitung.
Freiheit im Widerspruch
Beim Eröffnungskonzert, das gleich an drei Abenden gegeben wurde, wird dieser Widerspruch besonders im ersten Teil sehr deutlich. Beethovens Bühnenmusik „Egmont“ nach Goethes gleichnamigem Trauerspiel wird zu einer Hymne an die Freiheit. Egmonts unbeirrbarer Glaube an diese Freiheit steht dann musikalisch im Mittelpunkt dieses Werkes, das den Freiheitskampf der Niederländer gegen die Gewaltherrschaft der Spanier zeigt. Egmont, der tragische Anführer und Held, opfert sein Leben in dem selbstbewussten Glauben an Freiheit und Ideale.
„Fallt freudig, wie (ich) euch ein Beispiel gebe.“ Goethes Schlussworte können wir heute nicht mehr so blauäugig hinnehmen. In einer Zeit, wo Selbstmordattentate an der Tagesordnung sind, wo Glaubensbrüder „freudig fallen“ und wo Selbstmordattentäter Helden des Glaubens und der Freiheit sind, muss man zumindest ein Werk wie „Egmont“ hinterfragen. Das hat auch Claudio Abbado getan.
Sein Dirigat bleibt sehr zurückhaltend, das klassisch besetzte Orchester scheint hier nur als neutraler Kommentator zu agieren. Klangschön und präzise ist das Spiel des Lucerne Festival Orchestra allemal, fein der Gesang von Juliane Banse. Bruno Ganz rezitiert mit einer schon fast unheimlichen Überzeugungskraft, spricht wie ein Geblendeter, der aus der Realität herausgetreten ist. Bewusst eingesetzter Pathos hier, klare, objektive Orchesterbegleitung dort. Beethovens „Egmont“ gewinnt somit an Authentizität und versetzt Goethes Hohelied an die Freiheit mit einem bitteren Beigeschmack. Die wirkliche Siegessymphonie bleibt aus.
Überirdisch schöner Mozart
Dieser Eindruck wird dann noch dadurch verstärkt, dass Abbado sich im zweiten Teil für Mozarts Requiem entschieden hat. Der Sieg bringt den Tod mit sich. Quasi nahtlos in seinem interpretatorischen Konzept führt Abbado von Beethovens Siegestaumel hinüber zu Mozarts tief empfundener Totenmesse.
Genau wie bei Beethoven unterlässt es Abbado, eine zu persönliche Stellung zu beziehen. Und gerade durch seine, ja, fast distanzierte, objektive Wiedergabe dieses einmaligen Werkes (hier nicht in der Süssmayr-Version zu hören, sondern in einer gemischten Fassung der rezenteren Editionen von Franz Beyer und Robert Levin) verleihen Abbado und seine Musiker dem Requiem eine quasi transzendentale Kraft und überirdische Schönheit.
Während das Spiel des Lucerne Festival Orchestra von einer atemberaubenden Dichte lebte, boten der Chor des bayerischen Rundfunks und der Schwedische Rundfunkchor ein Musterbeispiel an Chorgesang.
Exzellent auch das mit den jungen und eher leichten Stimmen von Anna Prohaska (Sopran), Sara Mingardo (Alt), Maximilian Schmitt (Tenor) und René Pape (Bass) besetzte Solistenquartett, das Abbados filigrane Mozart-Deutung bestens unterstützte.
Zu Demaart
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