Headlines

«Bitte einen halben Radler»

«Bitte einen halben Radler»

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Glück, gute Ausrüstung und Training halfen dem 70-jährigen Bergsteiger beim tagelangen Überleben in einer Gletscherspalte. Doch der entscheidende Faktor für solch ein Wunder ist ein anderer.

Völlig durchnässt, aber mit 34 Grad Körpertemperatur nur leicht unterkühlt, wurde der 70-jährige Bayer am Dienstag auf die Intensivstation der Uniklinik Innsbruck eingeliefert. Sechs Tage und Nächte in einer Gletscherspalte auf 3000 Metern Höhe in den Tiroler Alpen lagen hinter ihm. Ob er sich etwas wünsche, fragt ihn der stellvertretende Klinik-Direktor Volker Wenzel. «Am liebsten hätte ich einen halben Radler», lautet die schlagfertige Antwort. «Die Schwestern haben sich totgelacht», erzählt der aus Hannover stammende Arzt am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa.

Für Wenzel und seine Kollegen ist der Mann wie schon für seine Retter ein kleines Wunder. «Ich habe ihn dann gefragt, ob er als Bayer nicht lieber gleich eine Maß oder ein ganzes Radler will», sagt Wenzel. Das wäre dann doch zuviel in seinem Zustand, lehnt der Rentner aus Schmidmühlen ab. «Der Mann ist einfach abgeklärt», analysiert der Intensivmediziner seinen ungewöhnlichen Patienten. Das ist für ihn neben großem Glück der entscheidende Grund dafür, dass der Mann so lange in einer scheinbar ausweglosen Situation überlebte.

«Sehr gut organisiert»

«Er war sehr gut organisiert, hat sich sofort seine Vorräte rationiert», sagt Wenzel, der länger mit dem Bayern gesprochen hat. Ein kleines Stückchen Schokolade war die Tagesration, dazu herabtropfendes Schmelzwasser vom Gletscher. Ständig kämpfte er in der Kälte gegen die Müdigkeit. «Ihm war klar, wenn er sich da hinlegt und tief einschläft, wacht er im Jenseits auf.»

Natürlich habe er über den Tod nachgedacht, erzählt der Bergsteiger später seinem Arzt. Aber der Gedanke an ein Wiedersehen mit seiner Familie – er hat zwei Söhne – habe ihm Kraft gegeben. Zudem sei er gläubig. «Er ist mental stark, hat die Hoffnung nie aufgegeben – das macht den Unterschied», sagt Wenzel. Als Intensivmediziner in einer Alpenregion ist der Arzt häufig mit Bergdramen konfrontiert und unterstreicht, wie wichtig die Psyche für das Überleben in Extremsituationen ist. Menschen, die in sich ruhten, seien deutlich zäher.

Körperlich sehr trainiert

Dem Bayern habe auch sein guter Gesamtzustand geholfen: «Er ist zwar 70 Jahre alt, aber passionierter Bergsteiger und körperlich sehr trainiert.» Beim Sturz in die 20 Meter tiefe Gletscherspalte vergangenen Mittwoch sei er mehr gerutscht und habe sich mit einem Hüftbruch nur relativ leicht verletzt. Gute Schuhe und eine warme Jacke hielten ihn weitgehend trocken und verhältnismäßig warm, auch wenn seine größten Wunschträume heißer Tee und ein warmes Bad waren. Bei seiner Rettung hatte der Mann eine Körpertemperatur von 34 Grad. «Das ist erstaunlich viel – nur eine milde Unterkühlung», sagt der Arzt. Spätestens bei 30 Grad Körpertemperatur verliere der Mensch das Bewusstsein.

Dass der Bayer – wie von Bergrettern kritisiert – alleine auf dem Gletscher unterwegs war, will der Arzt nicht bewerten. «Er sagte mir, es sei schwierig für ihn, Gleichgesinnte zu finden, die das so intensiv betreiben wie er.» Seinen Angehörigen habe er wohl mitgeteilt, eine Woche im hochalpinen Gebiet ohne Handyempfang unterwegs zu sein, deshalb sei sein Verschwinden nicht aufgefallen, vermutet der Mediziner.

Seine Söhne seien nun sehr besorgt, auch wenn der Vater keine schweren Schäden von seinem Abenteuer zurückbehalten habe. 48 Stunden soll der Rentner noch auf der Intensiv-Station bleiben, dann wird er auf eine Normalstation verlegt. Den großen Wunsch nach einem halben Radler hat er allerdings bisher nicht erfüllt bekommen. «Wir sind ein öffentliches Krankenhaus und keine Bierkneipe», lacht Wenzel.