Hollande empfing den Hauptaktionär von ArcelorMittal, Lakshmi Mittal, am frühen Abend. Nach einer Stunde verließ Mittal den Elysée Palast wieder. Mittal war durch eine Seitentür gekommen und verließ den Palast auch wieder durch eine Seitentür.
Über den Inhalt des Gespräches verlautete nichts. Lediglich das Pressegespräch von Präsident Hollande, das nach einem Besuch des belgischen Premiers Elio di Rupo stattfand, ließ erkennen, dass die französische Regierung in den vergangenen Wochen in aller Stille diese Lösung vorbereitet hatte. Die Bemerkung des französischen Staatspräsidenten machte auch deutlich, dass die Ausfälle des Ministers für die Bewahrung von industriellen Arbeitsplätzen keine bloße Gefühlsaufwallung waren. Minister Arnaud Montebourg hatte in der Montag-Ausgabe der französischen Wirtschaftszeitung «Les Echos» gesagt: «Wir wollen Mittal in Frankreich nicht mehr haben». Er hatte später ohne Erfolg versucht, den Satz abzuschwächen.
Hollande muss liefern
Die Nationalisierung der Anlagen von Florange hatte Montebourg in der vergangenen Woche in der Nationalversammlung bereits angedeutet. Seitdem macht sich in der französischen Politik eine breite Stimmung für die Nationalisierung breit, die wie eine Welle durch die verschiedenen politischen Richtungen geht. Das hat viel damit zu tun, dass sich die französische Politik während des Präsidentschaftswahlkampfes und auch während des Wahlkampfes zur Nationalversammlung in eine Falle begeben hatte. Staatspräsident Hollande war in Florange gewesen und auf das Dach eines Busses gestiegen, um den Stahlwerkern zu versprechen, dass er sich um sie kümmern werde. Hollande muss nun liefern.
Die zweite Falle ist die des Umgang des französischen Staates mit Privatkonzernen. Der Chef des Automobilkonzerns Peugeot musste sich von Montebourg sagen lassen, dass er keine Ahnung habe, wie man ein Unternehmen führt. Im Falle ArcelorMittal und Florange nehmen die Sozialisten es Lakshmi Mittal übel, dass er nicht mit der französischen Regierung zusammenarbeitet. Frankreich nimmt für sich in Anspruch, dass immer, wenn es eine Fabrik zu schließen gilt oder wenn es Entlassungen gibt, der Staat in Wirklichkeit zu bestimmen hat, was das Unternehmen zu tun hat.
Severstal ist interessiert
In dieser Philosophie hatte Minister Montebourg von ArcelorMittal verlangt, die 624 Arbeitsplätze nicht abzuschaffen, die an den beiden Hochöfen von Florange hängen. Montebourg hatte mit ArcelorMittal vereinbart, dass im Falle einer Schließung die Regierung das Recht erhalten sollte, Interessenten für die Hochöfen zu suchen. Diesen Wunsch hatte das Unternehmen erfüllt und eine Frist von zwei Monaten gegeben, die am Freitag abläuft. ArcelorMittal hatte den zu verkaufenden Bereich erweitert um die Kokerei und das Stahlwerk, weil es für die beiden Hochöfen alleine nie einen Interessenten gegeben hätte. Die Regierung ihrerseits hatte 20 mögliche Kandidaten kontaktiert, von denen nach Aussage des Präsidenten der Nationalversammlung zwei übrig blieben, die aber nur kaufen wollen, wenn sie mindestens eine Walzstraße mit kaufen könnten. Von den beiden Kandidaten, die nicht bekannt sind, reduziert sich Zahl um die Hälfte. Der russische Stahlhersteller Severstal, aus dem Übernahmekampf Mittal-Arcelor von vor sechs Jahren in Luxemburg noch gut bekannt, wird immer häufiger ins Gespräch gebracht. Severstal soll die ganze Anlage haben wollen.
In dem Gespräch zwischen François Hollande und Lakshmi Mittal am Dienstag Abend soll verklausuliert immer wieder die «andere Lösung» angesprochen worden sein, berichten Journalisten der französischen Präsidialpresse. Im Hintergrund sei im Präsidentenpalast der feste Wille zur Verstaatlichung zu spüren gewesen.
Probleme beim Aktienrecht
Lakshmi Mittal hat in dem Gespräch die Haltung des Unternehmens unverändert vertreten. Danach ist es aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu vertreten, die beiden Hochöfen weiter arbeiten zu lassen. Mittal kann auch gar nicht anders, als diese Auffassung bis zum letzten zu vertreten. Würde er die ganze Anlage an die französische Regierung abtreten, hätte diese die Möglichkeit einen Konkurrenten an den Platz zu setzen. Mittal hätte damit seinem Unternehmen geschadet. Das Aktienrecht erlaubt dies Aktion nicht und Mittal müsste mit der Justiz rechnen, wenn er Florange an einen Konkurrenten abgäbe.
Andererseits arbeiten nach Informationen von Tageblatt.lu seit der vergangenen Woche zahlreiche Rechtsanwälte für ArcelorMittal daran, zu prüfen, wie groß die Chancen einer Verstaatlichung sind, wie sie ablaufen würde und was dagegen zu tun ist. Tatsächlich kann die französische Regierung die Anlagen in Florange verstaatlichen, weil sie als eigenes Unternehmen im Handelsregister von Nancy eingetragen sind. Allerdings hat der Staatsgerichtshof im Jahre 1982 entschieden, dass eine Verstaatlichung nur im öffentlichen Interesse erfolgen darf und der Eigentümer zum Marktwert zu entschädigen ist. Das ist ein etwas längerer Vorgang, für den die Regierung kaum noch Zeit hat. Am 30. November läuft das Verwertungsmandat aus. Am 1. Dezember will das Unternehmen die Hochöfen ausblasen und mit den Sozialplan Verhandlungen beginnen.
Mittal bleibt hart
Ganz leise werden in der Öffentlichkeit auch Fragen gestellt, die in der gegenwärtigen politischen Euphorie aber noch nicht gehört werden. Hat der Staat genügend Geld, um ArcelorMittal zum Marktwert zu entschädigen. Gerüchte reden von einer Milliarde Euro. Kann der Staat weiter die bis zu 500 Millionen Euro zur Modernisierung der Anlagen aufbringen? Und schließlich: Wird der Verfassungsgerichtshof die Verstaatlichung einer ganzen Anlage wegen zweier Hochöfen als im öffentlichen Interesse akzeptieren. Weiter: Der Staatspräsident muss in die Nationalversammlung und in den Senat ein Gesetz einbringen, um die Verstaatlichung von Florange durchführen zu können.
Das alles spielt in der öffentlichen Diskussion derzeit noch keine Rolle, weil die Politiker vom Gedanken der Nationalisierung und der Rache an Lakshmi Mittal noch berauscht sind. Übersehen wird dabei, dass die Regierung, will sie tatsächlich enteignen, mit mindestens 50 Prozent sofort in das Kapital von Florange einsteigen muss. Wenn ArcelorMittal das ablehnt, ist die juristische Auseinandersetzung programmiert. Wie es aussieht, bleibt das Unternehmen hart.
Staatspräsident François Hollande hat zum Abschluss des Gespräches mit Lakshmi Mittal vorgeschlagen, weiter zu diskutieren. Aber im Hintergrund dieses Vorschlages stand die Drohung der Verstaatlichung. Das Pokerspiel geht noch bis zum Wochenende.
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