Arturo Toscanini soll seinen Taktstock immer mal wieder zerbrochen haben, aus Frust über die bescheidenen Leistungen des Orchesters. Ein solch rüpelhafter Umgang mit dem Utensil, wie ihn der italienische Star-Maestro im vergangenen Jahrhundert pflegte, wird keinem der lebenden Spitzendirigenten nachgesagt. Für die Firma Rohema Percussion aus Markneukirchen (Sachsen) in Ostdeutschland wäre das gar nicht mal so schlecht fürs Geschäft: Schließlich müsste ein höherer Verschleiß auch die Nachfrage steigern.
Gedrechselte Griffstücke für Taktstöcke. (dpa)
Rohema wurde 1888 gegründet, der Betrieb gilt damit als weltweit älteste noch bestehende Taktstock-Manufaktur. Im kommenden Jahr feiert er sein 125-jähriges Bestehen. Jährlich stellen die Vogtländer etwa 20 000 Stäbe her. So viele schafft kein anderer, sagt der Chef, Matthias Hellinger. Echte Konkurrenz muss der 56-Jährige auch in Zukunft nicht fürchten. Zwar gibt es noch ein paar wenige Liebhaber, die Taktstöcke von Hand machen. Dazu kommen Hersteller aus den USA, Japan und Indien. Aber in Europa hat nur Rohema die Gerätschaften, die für die Herstellung ganzer Serien nötig sind.
Man wird nicht reich
«Taktstöcke sind nicht lukrativ», erläutert Hellinger. «Der Ertrag ist niedrig und der Aufwand groß. Mehrere Spezialmaschinen sind nötig. Und man muss sich auskennen.» Selbst im eigenen Betrieb beherrschen eigentlich nur Matthias Hellinger und sein Bruder und Geschäftsführer-Kollege Andreas alle Schritte, bis aus der von einem bayerischen Sägewerk in Stücken angelieferten Weißbuche verpackungsfertige Taktstöcke entstehen. «Die Holzstäbe sind echt schwierig», sagt Matthias Hellinger. «Die Carbon- und Fiberglas-Stöcke kriegen wir vorgefertigt, die müssen wir nur noch ein bisschen spitz schleifen und weiß lackieren, dann ist der Grundkörper im Prinzip fertig.»
Aber noch längst nicht der ganze Stab. Es gibt unzählige Taktstock-Arten, Rohema hat nach eigenen Angaben 70 verschiedene Modelle im Programm. Die Stäbe unterscheiden sich voneinander nicht nur in Material und Länge, sondern auch in der Art des Griffs. «Jeder Dirigent hat seine Vorlieben», sagt Hellinger. «Seit ein paar Jahren setzen sich die ausbalancierten Stöcke durch.» Dazu brauchen etwa die im Vergleich zu den Holzmodellen dreimal so schweren Fiberglas-Stäbe einen Messingring. «Wenn der Dirigent zwei Stunden am Stück dirigiert, macht der auch mal zwischendurch die Hand auf, um zu entkrampfen. Und wenn der Stock dann nicht ausgewogen ist, fällt er ihm aus der Hand.»
Stöcke in jeder Ausführung
Produziert wird auf Vorrat. Von einfachen Modellen kommen in einer Stunde schon einmal bis zu 30 Stück zusammen, komplizierte Sonderanfertigungen dauern wesentlich länger. Im Laden sind die billigsten Taktstöcke für 2,80 Euro zu haben. «Bei uns machen sie nur fünf bis zehn Prozent des Jahresumsatzes aus», sagt Hellingers Sohn Maik, der gemeinsam mit seinem Cousin auch als Geschäftsführer eingestiegen ist und den Familienbetrieb in fünfter Generation führt.
Tatsächlich hängt das Wohl der Traditionsfirma eher vom Absatz des übrigen Sortiments ab, zu dem etwa Trommelstöcke gehören oder Rhythmus-Instrumente aus Holz für Kinder. Die meisten Stäbe bringt Rohema über den Großhandel auf den Markt, hinzu kommen aber auch Spezialaufträge für Spitzendirigenten wie Zubin Mehta oder Daniel Barenboim. Der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper und Chefdirigent der Staatskapelle lässt seine Taktstöcke seit Ende der 1990er Jahre in Markneukirchen herstellen. «Barenboim wollte etwas Besonderes und kam auf uns zu», sagt Matthias Hellinger. 20 bis 40 Stück braucht er pro Jahr. «Sie sind 43 Zentimeter lang und weiß lackiert.»
Ein Stock namens «Barenboim»?
Der Drechslermeister würde gern Barenboims Namen für das Modell verwenden, aber im Moment ist es schwierig, den Maestro zu erreichen. «Er ist eben ein viel beschäftigter Mann.» Hellingers Großvater hatte die Bezeichnung nach berühmten Musikern und Komponisten in den 1930er Jahren eingeführt. Im aktuellen Sortiment ziehen sowohl «Vivaldi» (355 Millimeter) und «Smetana» (370) als auch «Mozart» und «Händel» (je 430) gegenüber «Strauss» (465 Millimeter) den Kürzeren.
1927 waren die Komponisten bei Rohema noch ebenbürtig: Laut damaligem Katalog wurden gleich lange «Taktierstöcke» aus Ebenholz mit angeblich in Elfenbein geschnitzten Köpfen berühmter Komponisten wie Mozart, Beethoven oder Wagner feilgeboten. Sie wurden seinerzeit eher als Deko-Schmuck denn als Gebrauchsgegenstand verwendet – und hatten ihren Preis: Stolze 210 Reichsmark kosteten die so ausgestatteten Stäbe.
Hellinger ist es ein Bedürfnis, mit einem weit verbreiteten Irrtum aufzuräumen. «Auf Bildern und in Filmen sieht man immer wieder Dirigenten mit schwarzen Taktstöcken – das ist völliger Quatsch.» Die bei ihren Auftritten zumeist im Halbdunkel sitzenden Musiker müssten den vom Dirigenten mehr oder weniger enthusiastisch geschwungenen Stock schließlich auch sehen können: «Das ist doch kein Zauberstab.»
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können