Der Konflikt um Florange, der gut 14 Monate dauerte, und Anfang Oktober eskalierte, als das endgültige Ausblasen der Hochöfen verkündet wurde, ist von vielen Halbwahrheiten, bewussten Auslassungen politischer Polemik geprägt. Ende letzter Woche hat Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender Lakshmi Mittal mit einer ersten und einzigen Stellungnahme Klarheit geschaffen. In einer Sitzung am 13. Dezember zwischen Betriebsrat und Frankreich-Vorstand von ArcelorMittal wird das Unternehmen einen Investitionsplan für Florange verkünden. Die ersten Investitionen sollen bereits im ersten Vierteljahr 2013 erfolgen. Insgesamt sind Investitionen über 180 Millionen Euro geplant. Die Kritik insbesondere von Edouard Martin, CFDT Sekretär von Florange an diesem Plan: „Davon sind lediglich 30 Millionen strukturelle Investitionen, den Rest hätte Mittal sowieso investieren müssen.“
Tatsächlich investiert das Unternehmen jährlich etwa 30 Millionen Euro in den Erhalt der Walzstraßen und der zugehörigen Peripherie. ArcelorMittal hatte während des Konfliktes bereits eine 15 Millionen-Investition in die Anlage, unter anderem das Gasometer angekündigt. Die Gewerkschaften – in eine Grundsatz-Oppsition gegen Vorstandsvorsitzenden Lakshmi Mittal verstrickt, hatten während des Konfliktes kritisiert, dass „Mittal immer nur in die Walzwerke investiert“.
Kein Sozialplan
ArcelorMittal hat gleichzeitig angekündigt, dass es keinen Sozialplan für die 629 Hochofen Mitarbeiter geben sollte. Jeder Fall solle einzeln geprüft werden. Das hat einen Vorteil für das Unternehmen. Sozialpläne sind streng reglementiert. Möglicherweise kommt ArcelorMittal mit der Einzelfall-Regelung sogar besser davon. Die Einzelfall-Regelung hat hingegen für die betroffenen Mitarbeiter erhebliche Vorteile. Florange hat eine Altersstruktur, in der das Vorruhestandsalter überwiegt. Hier gibt es Stahlwerker, die nur zwei Jahre von der Rente entfernt sind. Regelungen, wonach ArcelorMittal die Zahlung der Sozialbeiträge übernimmt, den Nachteil eines Vorruhestandes mit Renteneinbuße verhindern würde, sind aber auch nur individuell möglich.
Erhebliche Auswirkungen wird in Frankreich die Vereinbarung mit der Regierung haben, dass für die Dauer von fünf Jahren die Weißblechanlage in Florange weiter arbeiten wird. In diesem, sogenannten „Packaging“-Bereich, der stillstand, waren 700 Arbeitsplätze gefährdet. Hier wird überwiegend der Stahl für Blechdosen hergestellt, sowohl für Getränke als auch für Gemüse- oder Obst-Dosen. Um den Bereich konkurrenzfähig zu gestalten, muss ArcelorMittal andere Standorte, wie etwa Basse Indre im Großraum Nantes einmotten, möglicherweise schließen und Personal versetzen. Das führt dort zu wütenden Protesten derselben Gewerkschaft CFDT, die in Lothringen für den Weißblechbereich kämpft. ArcelorMittal besitzt auch in Belgien noch eine Weißblechstraße. Die Auswirkungen dort sind noch nicht bekannt.
Kommission soll Entwicklung überwachen
Die französische Regierung hat eine Kommission unter der Leitung des pensionierten Unterpräfekten von Thionville eingerichtet. Die Kommission soll die Entwicklung der Anlage und die Einhaltung der Vereinbarungen überwachen. In ihr sollen auch die Gewerkschaften vertreten sein. ArcelorMittal kann damit im Prinzip leben. Die Kommission wird die Arbeit der Walzstraßen oder etwa der Kokerei nicht behindern. Sie wird auf der anderen Seite Auswirkungen dokumentieren können, wenn es Streiks gibt. Die sind absehbar, wenn ArcelorMittal im kommenden März die Gaslanzen abschalten und damit die Hochöfen in Florange ausblasen wird.
Das Projekt Ulcos (Produktion von Stahl unter Reduzierung des CO2 Ausstoßes) ist in den vergangenen 14 Monaten ein Beweis dafür, wie in Lothringen zum Teil mit gezinkten Karten gespielt wurde. Das Prinzip besteht darin, Kohlenstoffdioxid aufzufangen, und dann über Leitungen weiträumig um Florange/Hayange in den Boden zu pressen. Davon wären eine Reihe von Gemeinden betroffen gewesen, von denen nicht eine bisher ihre Zustimmung gegeben hat.
Politische Entscheidungen
Politisch war in Lothringen Ulcos gefordert worden, weil man dazu einen arbeitenden Hochofen hätte haben müssen. Bei dem Projekt war aber die Reaktion im Boden nicht erforscht. Es gab insbesondere von Umweltschützern Bedenken dagegen, dass Kohlenstoffdioxid sich im Boden mit Mineralien oder Metallen oder wasserführenden Schichten verbinden könnte und so das Grundwasser und damit Trinkwasser vergiften könnte. Der Bürgermeister von Florange, Pierre Tarillon, hat sich auf seiner Facebook-Seite scharf gegen die Umweltschützer gewendet, weil sie mit ihren Bedenken die Arbeitsplätze an den Hochöfen gefährdeten.
Auch die Technik war nicht erforscht. Ulcos war eine Schimäre, mit der man Politik machen konnte, die technisch aber nicht existierte. ArcelorMittal soll der französischen Regierung bereits Wochen vor der offiziellen Mitteilung in der vergangenen Woche mitgeteilt haben, dass man aus dem Projekt aussteige. Bekannt wurde es dann durch eine Mitteilung der EU-Kommission.
ArcelorMittal hat nun 13 Millionen Euro für „Ulcos 2“ zur Verfügung gestellt. Damit können zwar die Forschungsarbeiten beginnen, aber der eigentlich dafür vorgesehene Forschungs-Hochofen steht in Eisenhüttenstadt. Dort sollte Ulcos ursprünglich verwirklicht werden, weil es in Eisenhüttenstadt zwei Hochöfen gibt und im nahen polnischen Revier drei Hochöfen. Dort hätte Ulcos Sinn gemacht. Die Übertragung nach Lothringen, wo sie von Beginn an keinen Sinn machte, war ein Sahnehäubchen für die Schließung des Elektrostahlwerkes Gandrange. „Ulcos 2“ in Lothringen macht nach wie vor keinen Sinn, ist nun aber das Sahnehäubchen für die Schließung der Hochöfen.
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