„Ei du verzwicktes X, unnützer Buchstab!“ (Shakespeare, König Lear)
" class="infobox_img" />Dieter Heimböckel ist Professor für Literatur und Interkulturalität an der Uni Luxemburg. Seine Beiträge erscheinen im Tageblatt (samstags) und an dieser Stelle im Zwei-Wochen-Takt.
Die Kolumne trägt den Namen Flöz und lädt zu einer Suchbewegung durch das ABC gedanklicher Rohstoffe ein. Was dabei genau herauskommt, liegt wie im Flöz allerdings noch im Verborgenen.
Das ist ein starkes Echo. Von weit hinten bzw. von weit vorne. Das gleiche Spiel noch einmal, eine Art Wiederkehr des Gleichen. C’est la vie. Nur spiegelverkehrt. Denn mit ›X‹ ist im Deutschen kein Start zu machen. Außer in Xanten. Aber das ist nichts, worauf man in Xanten stolz sein sollte. Alles nur Verschiebung mit Unterstützung von oben. ›X‹ hat es offenbar mit den Heiligen. Keiner weiß das besser als Xaver. Wenn sich die Heiligen nicht einmischen, bleibt es heidnisch wie bei Xenon, Xerxes und Xanthippe. Wohin das führt, ist bekannt und steht bei Xenophon geschrieben.
Es ist eine Krux mit dem ›X‹. Das haben auch schon andere und viel früher bemerkt. Kein deutsches Wort fange mit ›X‹ an, und auch in der Mitte und am Ende werde es nur dann gebraucht, wenn die Abstammung dunkel sei und man nicht wisse, ob man ›X‹ in ›chs‹, ›cks‹, ›gs‹ oder ›ks‹ auflösen solle. Was dabei herauskommt, ist kaum der Rede wert, nichts jedenfalls, was die Gedächtnisleistung überstrapazieren und – womit wir schon mitten im Heer der Glorreichen ›X‹-Ritter wären – einem Hexenwerk ähnlich sein würde. Wer Hexe sagt, sagt Haxe, sagt Axt, sagt Nixe, Buxe, Faxen, feixen, kraxeln und verflixt. Sonst nichts. Der Rest ist Importware.
Allerdings ist fraglich, ob diese spärliche Ausbeute den Exorzismus rechtfertigt, den ausgerechnet der Sänger des Messias für das ›X‹ gefordert hatte. Klopstock hätte namentlich allen Grund gehabt, sich für Minderheitenschutz einzusetzen. Stattdessen sein Plädoyer für die Abschaffung und nicht, was sich aus buchstabenökonomischen Erwägungen auch angeboten hätte, für die Integration. Was spricht gegen Axe, Knax, Wux und Wax? In anderen Sprachen macht man doch auch kein Aufheben darum. Trotzdem die beachtliche Abwehrhaltung, als würde sich hinter dem leidigen ›X‹ noch etwas anderes verbergen, etwas Abgründiges vielleicht, ein Rätsel – oder doch nur eine Täuschung? Es gibt niemanden, der sich gerne ein ›X‹ für ein ›U‹ vormachen lässt, aber stellt sich dieses Problem noch für eine Generation, die mit Fix und Foxi aufgewachsen ist? Ich gebe zu, ich bin befangen. Dass beide ausgedient haben, spricht jedoch für sich.
›X‹ muss irgendetwas haben, was sich dem unmittelbaren Zugriff entzieht oder zumindest dafür sorgt, dass die Regeln der Normalität außer Kraft gesetzt werden. Woher rührt sonst die Neigung zu Extravaganz und Maßlosigkeit, für die ›X‹ geradezu berüchtigt ist? Jeder kennt sie und hat sie schon ›X‹-mal in ›X‹-beliebigen Zusammenhängen erlebt. Wer zudem in dem Ruf steht, ganz unberechenbar zu sein, muss sich schließlich nicht wundern, wenn unliebsame Gäste seinem Geheimnis auf die Schliche kommen wollen. Der Teufel hat sich schon daran versucht; zum Glück für den naiven Peter Schlemihl am Ende ohne Fortune. Es hätte aber nicht viel gefehlt, dann hätte der Beelzebub den Nachlass dieses ›X‹ auf immer sein Eigen nennen können. Was wäre das für ein Seelenraub gewesen! Ob dem Teufel danach wohler geworden wäre, muss freilich dahingestellt bleiben. Er ist auch nur ein armer Wicht, der mit dem Kreuz auf keinem guten Fuße steht. Vielleicht, dass selbst er auf Erlösung hofft? Für sein Menscheln ist der Teufel ja berühmt.
Die Krux mit dem ›X‹: Zwei schräge Striche, die sich kreuzen, streichen einander förmlich aus (oder stützen sie sich?), man weiß nicht, was sie wollen, wonach ihnen der Sinn steht, wie sie eigentlich klingen. So ist es von jemandem überliefert (nennen wir die Person, von der die Rede ist, der Einfachheit halber ›Y‹), als ihr ›X‹ das erste Mal begegnete: Sie kam damals aus einer anderen Schrift und wusste nicht, als Xander, der Fotograf, ihr seine Visitenkarte gab, wie man das ›X‹ ausspricht. Ihr Blick, sagt sie, hing wie festgenagelt an dem Buchstaben ›X‹. („My eyes were still crucified by the X.“) Bis zu dem Tag, an dem sie erfuhr, dass Xander eine Abkürzung von Alexander war, quälte sie die Frage, die man in mathematischen Lehrbüchern findet: Welchen Wert hat ›X‹?
„Thou whoreson zed! thou unnecessary letter!“ (Shakespeare, KingLear)
Zu Demaart
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