Dienstag30. Dezember 2025

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Die Würdigung der Antihelden

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Berieseln lassen gibt es nicht. Martin Scorsese betont immer wieder, dass er Zuschauer möchte, die sich mit seinen Filmen wirklich auseinander setzen. New Hollywood, statt Blockbuster.

Den gleichen Anspruch hat auch die Ausstellung, die die deutsche Kinemathek am Potsdamer Platz dem US-Regisseur zu seinem 70. Geburtstag widmet. Ein Muss für alle Kinofans.

Man muss durch einen schwarzen Vorhang, um die Ausstellung zu betreten. Das fängt ja schon einmal gut an. Und es geht sofort noch besser weiter: Auf der Leinwand ist ein Mann zu sehen, mit Schaum im Gesicht, er rasiert sich – und schneidet sich. Immer tiefer und tiefer. Blut tropft ins Waschbecken. Das Wasser im Abguss verfärbt sich rosa. Bluttropfen spritzen bis auf die Zähen des Mannes. Rinnsale laufen ihm den Rücken herunter. Manchmal fällt es schwer, es auszuhalten, das Reich von Martin Scorsese.

Doch nach dem ersten Schock wird es dann erst einmal informativ. Noch nie konnte man dem berühmten Filmemacher so nahe kommen. 600 Exponate sind zu sehen, viele Szenenfotos und Videos, aber auch Privatfotos und Briefe. Für diese Ausstellung hat Martin Scorsese sein Privatarchiv geöffnet, sein langjähriger Hauptdarsteller Robert de Niro hat viele Einzelstücke hinzugegeben, wie die Cowboystiefel aus „Travis Bickle“, die Boxershorts und –handschuhe aus „Raging Bull“, oder auch das blutgetränkte Hemd von Max Cady.

Wie ein Architekt

Doch die Ausstellung ist nicht in erster Linie blutig. Sie beginnt – zumindest gleich nach dem Video – mit Buntstiften. Sein erstes Storyboard malte Scorsese bereits mit elf Jahren. Der Film sollte „The Eternal City“ heissen. Er wurde zwar nie realisiert, doch die Skizzen des Jungen zeigen bereits die Ansätze des talentierten Filmemachers, dem wir Filme, wie „Taxi Driver“, „Good Fellows“, „Casino“ oder auch „Gangs of New York“ verdanken. Von seinen kindlichen Anfängen bis heute ist jedes Detail komponiert, Scorsese plant seine Filme wie ein Architekt.
Schauplatz seiner Filme ist häufig New York, besonders Little Italy, wo Martin Scorsese aufgewachsen ist. Mit „Italianamerican“ entstand ein Film über seine Eltern, selbst italienische Einwanderer. Und spätestens mit „Goodfellas“ setze er dann 1990 nicht nur der Grossfamilie, sondern auch dem organisatorischen Verbrechen ein Denkmal.

Doch es ist nicht die Gewalt, die ihn interessiert, vielmehr lotet er in seinen Filmen aus, warum Menschen tun, was sie tun. Sein Interesse für die Motive menschlichen Handelns lässt ihn Männerfreundschaften beobachten, er stellt Fragen über Schuld und Sühne, Treue und Pflicht. Während seine beschriebenen Beziehungen zwischen „Brüdern“ – auch im figurativen Sinne – von klaren Hierarchen und Ritualen geprägt sind, so ist seine Beobachtung von Beziehungen zwischen Mann und Frau weitaus tastender, behutsamer und meist auch tragischer. Es scheint so, als inszeniere Scorsese Männer, die zwar gerne ihre Schwächen zeigen würden, doch leider weder das Vokabular, noch die Gesten dafür kennen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an Jimmy Doyle (Robert de Niro), der es ihn „New York New York“ einfach nicht schafft, den richtigen Umgang mit seiner Francine Evans (Liza Minelli) zu finden. Neben Ausschnitten aus dem Film, gibt es auch die Fotos vom Dreh und von öffentlichen Auiftritten zu sehen.

Doch das schönste Foto ist jenes, mit dem die Ausstellung abschliesst, aufgenommen in Rom im Jahre 2007. Ein mehrere Quadratmeter grosses Foto mit dem kleinen Scorsese in der Mitte. Links von ihm zwei Rolling Stones, rechts von ihm zwei Rolling Stones. Und es ist unmöglich zu beurteilen, wer der fünf stärker lacht. Im Hintergrund singt George Harrison „Living in The Material World“. Es sollte aber eigentlich heissen: Living in The Scorsese World…