Mittwoch31. Dezember 2025

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Reformen im Luxemburger Rechtswesen

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Verständigung im Strafprozess, Verbesserung der Verteidigungsrechte, alternative Sanktionen und Umstrukturierung des Strafvollzugs: Vier wichtige Reformen werden das Rechtswesen und den Strafvollzug in Luxemburg verändern.

Dies das Fazit einer Konferenz, zu der die ALAP, die Vereinigung der luxemburgischen Strafverteidiger, den Luxemburger Justizminister Felix Braz als Gastredner eingeladen hatte.

Alle vier Gesetzesvorhaben, im Koalitionsvertrag der Regierung festgehalten, wie Braz unterstrich, sollen eine Verbesserung der aktuellen Situation bewirken, die regelmäßig auf Kritik von der Europäischen Union stößt, weil z.B. Verurteilte, Untersuchungshäftlinge oder – besonders in der Kritik – auch Minderjährige im gleichen Gefängnis untergebracht werden.

Mit einem Durchschnitt von 139 Gefängnisinsassen auf 100.000 Einwohner nimmt Luxemburg die Spitze unter den westeuropäischen Ländern ein. Als Folge dieser Umstände ist das Gefängnis in Schrassig („Centre pénitentiaire Luxembourg“ – CPL) ständig überbelegt, was natürlich die Möglichkeiten bei der Reintegration von Verurteilten zurzeit einschränkt.

Neue Struktur

Mit dem Bau des neuen Gefängnisses bei Sanem („Centre pénitentiaire d’Uerschterhaff“ – CPU) bietet sich demnächst die Chance einer Reorganisation des Strafvollzugs. Im CPU, das bis 2018 fertiggestellt sein soll, sollen die Untersuchungshäftlinge untergebracht werden, im CPL die Verurteilten. Nimmt man das dritte Gefängnis in Givenich hinzu („Centre pénitentiaire de Givenich“ – CPG), das Gefangene z.B. tagsüber verlassen können, um einer Arbeit nachzugehen, werden ab Fertigstellung des CPU Untersuchungshaft, Vollzug und halboffener Vollzug zum ersten Mal in Luxemburg getrennt sein.

Insgesamt soll die Kapazität der Gefängnisse dann bei rund 900 Insassen liegen, betreut von etwa 800 Mitarbeitern.

Die Leitung der Gefängnisse wird einer eigenen Verwaltung unterstellt, während der eigentliche Strafvollzug einer neu konzipierten „Chambre de l’application des peines“ zugewiesen wird.

Mit dieser Neuaufstellung ergeben sich neue Perspektiven. So wird die Laufbahn des „Giichtchen“, des Gefängniswärters, ein neues Gesicht bekommen. Aus dem bisherigen „gardien“ bzw. „sous-officier“ sollen „Vollzugsagenten“ („agents pénitentiaires“) werden. Um ihren neuen Aufgaben auch mit Blick auf die Inhaftierten besser gerecht zu werden, soll ihre Ausbildung neu gestaltet werden, u.a. durch ein Praktikum in Gefängnissen in anderen Ländern, wie Felix Braz als Beispiel anführte. Der Minister möchte auch die schulischen Eingangskriterien anheben, von einer aktuellen „neuvième“ hin zu einer „onzième“.

„Jugement sur accord“

Felix Braz will die Reorganisation zudem nutzen, um verstärkt Integrationsmaßnahmen für die Inhaftierten in die Wege zu leiten. Ziel dabei ist es, von einer Politik des reinen Freiheitsentzugs bei den Sanktionen abzurücken. So sieht das neue Gesetz das Einführen eines „freiwilligen Vollzugsplans“ vor („contrat volontaire d’intégration“). Mit einem solchen Plan sollen die Chancen des Gefangenen auf eine spätere gesellschaftliche Wiedereingliederung optimiert werden.

Eine weitere Kritik, die sich Luxemburg auf europäischer Ebene anhören muss, ist die Dauer der Prozesse, die zu lang sei. Dies hat sicher auch mit der hohen Zahl an Strafangelegenheiten zu tun, mit der sich die Magistraten an den Standorten Luxemburg und Diekirch befassen müssen: 49.343 im Jahr 2009, 58.755 im Jahr 2010, 54.578 für 2011.

Mit der Prozedur der sogenannten „Verständigung im Strafprozess“ („jugement sur accord“) will man hier Entlastungen schaffen.

In Fällen von Delikten oder Verbrechen, die mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden, soll dann, wenn der Angeklagte geständig ist, er selber, in Begleitung eines obligatorischen Anwalts, oder der Staatsanwalt eine solche Prozedur vorschlagen können. Wird sie von beiden Seiten und vom Untersuchungsrichter akzeptiert, wird ein Strafmaß festgelegt. Die Strafkammer wird dann darüber befinden, ob die Strafe angemessen ist oder nicht. Wenn ja, gilt die „Verständigung“, wenn nein, beginnt die Ermittlungsprozedur von Neuem.

Die Opfer müssen vor Gericht öffentlich gehört werden, können jedoch keinen Einspruch gegen die „Verständigung“ einlegen, wenn diese angenommen wird. Allerdings schmälert dies nicht ihre Rechte vor einer Zivilkammer.

Drei EU-Richtlinien

Zum Abschluss der Konferenz ging der Minister auf ein Gesetz ein, das gleich drei europäische Direktiven umsetzen und die Rechte der Verteidigung stärken soll. Es geht dabei um das Recht auf einen Dolmetscher und auf Übersetzungen der Schriftdokumente. Weiter soll ein Verdächtiger künftig sofort nach seiner Festnahme und noch vor einer Anhörung durch die Polizei oder einen Untersuchungsrichter einen Anwalt einschalten können. Zudem sollen Angeklagte bzw. ihre Anwälte das ständige Recht auf Einsicht in die verschiedenen, den Angeklagten betreffenden Dossiers bekommen. Besonders dieser Punkt ist eine klare Verbesserung des Informationsstandes der Verteidigung.

Alles in allem werden die in die Wege geleiteten Reformen Änderungen bei „sehr, sehr vielen Artikeln“ des Luxemburger Strafgesetzbuches mit sich bringen, brachte Generalstaatsanwalt Robert Biever das Ganze nach den Ausführungen des Ministers auf den Punkt. Wie er hatten sich zahlreiche Magistrate und Anwälte zu der gut besuchten, aufschlussreichen Konferenz eingefunden.