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Stählerner Pessimismus

Stählerner Pessimismus
(Archiv Editpress)

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Der weltgrößte Stahlkonzern, das Luxemburger Unternehmen ArcelorMittal, sieht die Stahlproduktion in Europa bedroht.

„Wenn sich die Europäische Union mit ihren Vorstellungen durchsetzt, dann wissen wir nicht mehr, wie man in Europa noch Stahl produzieren soll.“ Mit diesen Worten wandte sich der Finanzchef des Stahlkonzerns gegen die Vorstellungen in der Europäischen Union zum Umweltschutz und zum Ausstoß von Kohlendioxid.

Die Stahlindustrie gilt mit ihren Hochöfen als einer der großen Umweltverschmutzer. Gleichzeitig ist sie aber auch noch einer der wenigen industriellen Arbeitgeber in Europa. In Frankreich beschäftigt ArcelorMittal 20.000 Menschen, in Deutschland 8.000 und in Luxemburg 5.800. Zu den Projekten des Umweltschutzes, die die Stahlindustrie von sich aus vorantreibt, gehört das Projekt Ulcos. Derzeit laufen Versuche in der lothringischen Walzwerksanlage Florange, Kohlenstoffdioxid-Gase zum Aufheizen der Brammen zu verwenden, die in Florange gewalzt werden. In Dünkirchen soll im kommenden Jahr eine Versuchsanlage im großen Stil gebaut werden, kündigte der Konzern an.

Deutliche Einflüsse der Arbed

Aditya Mittal, Finanzchef des Konzerns und gleichzeitig Europachef, trat in Paris vor Journalisten im Rahmen eines Europapressetages auf. Er wies auf die Bedeutung der europäischen Stahlindustrie für den Konzern hin. ArcelorMittal weist in Europa 400 Standorte in 17 Ländern auf und macht auf dem „alten Kontinent“ 39 Milliarden US- Dollar Umsatz. Das sind 47 Prozent des Konzerns. In den USA macht der Konzern 29 Prozent des Gruppenumsatzes, in Brasilien 17 Prozent. Der Großteil der Forschung befindet sich Europa, insbesondere in Lothringen.

Die Umsatzstruktur, die Produktionsstandorte und die Forschungsstandorte lassen noch deutliche Einflüsse der Arbed und später von Arcelor erkennen. Auch der brasilianische Umsatzanteil geht noch – auch wenn die Entwicklung im ArcelorMittal-Konzern unverkennbar ist – auf die Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgte Arbed-Niederlassung in Brasilien zurück.

Die Basis zu einer positiven Stahlentwicklung im laufenden Jahr sei durchaus gegeben, sagte Aditya Mittal. Sie läge in der Geldpolitik der europäischen Zentralbank, im schwachen Euro, in den tiefen Rohölpreisen, und in den sich verbessernden Kreditkonditionen. In der Europäischen Union der 28 Mitgliedsstaaten liege die industrielle Produktion auf dem höchsten Stand seit 2008, dem Jahr der Finanzkrise. Es sei ein deutlicher Anstieg beim Kauf von neuen Autos zu beobachten, beim Bau könne man einen Zuwachs von 2,8 Prozent vorweisen. Das heißt: Die Stahlnachfrage in Europa ist sowohl beim Flachstahl als auch beim Langstahl vorhanden. „Allerdings“, warnte der Stahlmanager, „darf man nicht davon ausgehen, dass man ein Niveau wie von 2007 (Referenzjahr vor der Finanzkrise) wieder erreichen wird“.

Standort Florange

ArcelorMittal hat in den vergangenen fünf Jahren in Europa fünf Milliarden Euro investiert. Davon gingen 180 Millionen Euro in den Stahlstandort Florange. Der lothringische Standort, der in den vergangenen Jahren aus den Schlagzeilen nicht herauskam, gehört in der neuen Europastruktur des Konzerns heute zu der Einheit „Atlantik-Lothringen“. In dieser Einheit wird der Stahl von drei Hochöfen in Dünkirchen produziert. In der Form von Vorprodukten werden dann drei Millionen Tonnen nach Florange gefahren. In Lothringen werden die Vorprodukte in großen Öfen erhitzt und dann gewalzt.

Der gewalzte Stahl geht aus Lothringen zu 55 Prozent in die Automobilindustrie, zu 29 Prozent allgemein in industrielle Anwendungen und zu 16 Prozent in den „Packaging“-Bereich, der im wesentlichen Dosen umfasst. Die Lieferländer sind zu 42 Prozent Frankreich, zu 28 Prozent Deutschland, dazu Italien, die tschechische Republik, Belgien, Spanien oder auch Schweden. Mehrheitlich geht die Produktion aus Florange in den Export.
Florange war in die Schlagzeilen geraten, als die Gruppe die beiden Hochöfen des Stahlstandortes schloss. Die Aktionen der Stahlarbeiter erweckten in Frankreich den Eindruck, als ob mit der Schließung der beiden Hochöfen die Stahlindustrie in Frankreich ausgeblasen würde. Der damalige Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg wollte ArcelorMittal gar enteignen und die Anlage verstaatlichen.

Heutzutage sind die Hochöfen ausgeblasen, die Vorprodukte kommen aus Dünkirchen. „Wir produzieren mit drei Hochöfen heutzutage so viel Rohstahl wie früher mit fünf“, erklärt Eric Niedziela, Vorstandsvorsitzender von ArcelorMittal Atlantik Lothringen. Der Konzern hat damit die Strategie durchgesetzt, in einer Landschaft mit geringerem Stahlverbrauch einige Anlagen voll auszulasten und die anderen zu schließen. Gleichzeitig baute der Konzern eine länderübergreifende industrielle Organisation.

Innovativpreis ausgerufen

Das Ende der Hochöfen in Florange war schon im Jahr 2002 von Arcelor beschlossen worden, unter anderem, weil die Altersstruktur der Mitarbeiter so war, dass kein Sozialschaden entstehen würde. In Paris legte Eric Niedziela eine Bilanz vor, die das 13 Jahre alte Vorhaben in seiner Entscheidung bestätigte.
Von den 629 betroffenen Stahlwerkern sind 53 Prozent auf andere Arbeitsplätze in Florange versetzt worden. In den Ruhestand gingen 41 Prozent, sechs Prozent fanden andere Arbeitsplätze außerhalb des Konzerns. Von zugesagten 180 Millionen Investitionen sind etwa 140 Millionen erfolgt. Die umgesetzten Stahlarbeiter wurden in 65.800 Ausbildungsstunden umgeschult. Die Entwicklung in Florange ließ bisher 44 Neueinstellungen zu.

ArcelorMittal scheint fest entschlossen, sich in Frankreich ein neues Ansehen zu verschaffen. Der bisherige Frankreich-Pressetag wurde in einen europäischen Pressetag umgewandelt, die Präsentation in das feudale Gebäude der früheren russischen Botschaft verlegt.

Hier verkündete Aditya Mittal, dass der Konzern einen Innovationspreis ausgeschrieben hat, um den man sich mit sofortiger Wirkung bewerben kann. Die Bewerbungsfrist läuft bis Ende des Jahres. Die Preisverleihung findet im April kommenden Jahres statt … in Lothringen.