Sieben verletzte, drunter ein Wachmann, der stundenlang im Koma lag, zwei Manager der Fluggesellschaft Air France, die sich mit zerrissenen Kleidern vor einem wütenden Mob retten mussten, das ist die Bilanz einer Sitzung bei Air France, bei der ein Restrukturierungsplan mit dem Abbau von 2.900 Arbeitsplätzen verkündet wurde. So hart die Situation auch erscheint, sie ist in Frankreich nicht ungewöhnlich, und sie ist nicht einmal die Schlimmste. Der schwierigste Fall ist bisher der einer entführten Fähre gewesen. Arbeiter der Fährgesellschaft SNCM hatten die Fähre entführt, um gegen die Privatisierung der Gesellschaft zu protestieren. Frankreich setzte eine Anti-Terror-Einheit ein, die die Fähre auf See enterte.
„Boss-Napping“ ist die in Frankreich übliche Art und Weise, mit der sich eine Belegschaft gegen Sozialpläne und Restrukturierungen wehrt. Im lothringischen Gandrange wurde der ArcelorMittal-Chef des Stahlwerkes als Geisel genommen, als er das Ende des Elektrostahlwerkes verkündete. Die Gendarmerie schaute zu, der Inlandsgeheimdienst nahm es zur Kenntnis und verließ den Ort. Bei Caterpillar wurde der Frankreich-Vorstand 30 Stunden in seinen Büros und der Kantine festgesetzt. Im Jahre 2009 gab es gleich eine Reihe von Fällen. 30 Stunden lang war der Produktionschef der Goodyear in Amiens gefangen. Die Arbeiter gaben ihn erst frei, als der Präfekt damit drohte, die Polizei einzusetzen. Mitarbeiter des Autozulieferers New Fabris drohten, die Fabrik in die Luft zu sprengen, und Angestellte des Speditionsunternehmens Serta drohten damit, die Seine zu vergiften.
Keine Verhandlungskultur
Eine Verhandlungskultur, wie sie nach Vorstellungen der amtierenden französischen Regierung in Frankreich Einzug halten soll, gibt es nicht. Die Belegschaften versuchen, mit diesen Methoden Fabrikschließungen abzuwenden. Hinzu kommen jahrelange juristische Auseinandersetzungen, die die Unternehmen Millionen kosten können. Der Reifenhersteller Continental gab in solch einer Situation nach. Er zahlte 200.000 Euro Abfindung pro Mitarbeiter bei der Schließung einer Fabrik in Frankreich, mehr als das Dreifache von dem, was zum selben Zeitpunkt bei einer Fabrikschließung in Deutschland gezahlt wurde.
Der französische Senat unterstützte die Arbeiter vor zwei Jahren in ihrer Verhaltensweise. Mit einer Mehrheit von Kommunisten und Sozialisten beschloss er ein Amnestie-Gesetz für die Arbeiter, die ihre Chefs festsetzen und Fabriken und Büros zerstören. Die sozialistische französische Regierung unter dem damaligen Premierminister Jean Marc Ayrault hatte größte Mühe und Not, das Gesetz in der Nationalversammlung zu verhindern. In der Politik gibt es Unterstützung für die Randalierer und Zerstörer. Linksaußen Jean Luc Mélanchon und Olivier Besancenot sprachen von einer Notwehr der Arbeiter gegen die Gewalt, die von Air France durch Entlassungen ausgeübt würde. Das ist eine in Frankreich nicht ungewöhnliche Sichtweise. Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft Force Ouvrière (FO) konnte sich zu einer Verurteilung der Angriffe auf die Air France Manager nicht entschließen, anders als der Vorsitzende der Gewerkschaft CFDT, der diplomatisch Verhandlungslösungen bevorzugt.
Justiz eher milde
Auch die Justiz hat sich in Frankreich bisher bei solchen Situation eher milde und verständnisvoll gezeigt. Das höchste französische Verwaltungsgericht, in letzter Instanz zuständig für Arbeitsgerichtsfragen, gab im Falle Continental, dem CGT Chef im Unternehmen recht. Continental hätte ihm einen Ersatzarbeitsplatz anbieten müssen. Der Mann hat längst neue und lukrative Arbeit. Er hat umgeschult zum Theater- und Filmschauspieler. Ein Film, in dem er mitwirkt, ist bei den Festspielen in Cannes prämiert worden. Die Richter übersahen das.
Air France hat zwischenzeitlich mitgeteilt, dass zehn Personen, die an der Hatz auf Vorstandsmitglieder teilgenommen hatten, identifiziert seien. Sie müssen mit Entlassung rechnen. Die Strafanzeigen sind erstattet worden.
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