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Über das Spiel mit der Angst

Fanatismus macht blind, Ängste auch. Blind für Verhältnismäßigkeit, unzugänglich für Argumente. Aus Angst vor Überfremdung z.B. behauptet die ADR immer noch, dass Luxemburger ist, wer Luxemburgisch spricht. Obwohl jeder weiß, dass eben diese These nicht stimmt, wie im täglichen Gespräch mit der jungen Generation an Nicht-Luxemburgern, die hierzulande wohnen, leicht festzustellen ist. Sie alle sprechen Luxemburgisch, gingen oder gehen hier zur Schule, leben hier und wollen auch weiterhin ihre Zukunft hier gestalten, sind Arbeitskollegen, Nachbarn. Sind aber nicht Luxemburger. Und werden generell als „Ausländer“ abgestempelt, obwohl sie Luxemburgisch sprechen.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Aus Angst vor eben diesen „Ausländern“ behauptet die Bewegung „Nee 2015“ gebetsmühlenartig, sie sei die politische Mitte, die für jene 80% stehe, die beim Referendum gegen das Ausländerwahlrecht gestimmt haben. Eine politische Mitte, die sich ausdrücklich von den anders denkenden Parteien distanziert. Die für 80% der Wähler steht? DP, LSAP, „déi gréng“, „déi Lénk“ und CSV wären demnach extremistische Parteien, entweder ganz am linken oder ganz am rechten Rand des politischen Spektrums anzusiedeln, das von der selbsternannten Mitte dominiert würde. Eine Mär. Wieder einmal war der Wunsch Vater des Gedanken.

Dies zeigt aber, dass Ängste den Blick auf die Realität trüben. Nun können sie auch gewollt geschürt werden. Wer mit Ängsten spielt, baut Zerrbilder auf und schafft Verunsicherung. Das ist besonders schlimm, wenn dies in einem Land von einem, zugegeben geringen, Teil auf einen anderen Teil der dort wohnenden Bevölkerung Anwendung findet. Es spaltet. Zerrbilder und Verunsicherung verhindern eben jenen Integrationsprozess, den Gruppen wie ADR und „Nee 2015“ angeblich so inbrünstig anmahnen. Es ist kein Zufall, dass beide nicht von jenen 2.000 „Ausländern“ reden, die jedes Jahr die Luxemburger Nationalität via Blutrecht erlangen, obwohl sie weder Luxemburgisch sprechen noch hier wohnen, sondern in Kanada vielleicht oder Australien, dort, wohin ihre Luxemburger Vorfahren ausgewandert sind. Sie könnten sich in die Wahllisten eintragen lassen. Was sie jedoch nicht tun, womit sie dem Blickfeld rechter Gruppierungen im Lande entschwinden.

Ohne Schuld zuweisen zu wollen: Das Spiel mit der Angst ist immer auch ein Spiel mit dem Feuer. Es bringt Zweifel auf. Es grenzt aus und verletzt das Selbstwertgefühl auf beiden Seiten. Keine gesunde Grundlage für den Blick auf die Zukunft eines Landes, in dem 46% der Bevölkerung Nicht-Luxemburger sind und jeden Tag rund 150.000 Grenzgänger zur Arbeit kommen. Und die Herausforderungen jeden Tag größer werden. In seinem Gutachten zum Staatshaushalt geht der Staatsrat davon aus, dass die Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren um weitere 437.000 Menschen ansteigen könnte. Und das werden sicher nicht alles Luxemburger sein. Um das zu meistern, bedarf es der Öffnung und der Integration, nicht markanter Trennlinien.