Die Bürger haben von den immer neuen Zwischenfällen in Belgien gehört und wären bei einem Unfall mit als erste betroffen. «Ich bin froh, dass Holland, Deutschland und Luxemburg reagieren», sagt der Metzger Filip van Vlierberge in seinem Laden im holländischen Nieuw-Namen, von wo er die Anlagen im Nachbarland sehen kann. «Ihnen und mir» hörten die Behörden ja nicht zu, meint van Vlierberge, während eine Kundin zustimmend nickt.
Tatsächlich haben sich in den vergangenen Wochen vermehrt ausländische Politiker über Belgiens Atompolitik zu Wort gemeldet. Anlass waren immer neue Pannenmeldungen aus dem flämischen Doel bei Antwerpen und Tihange in der Wallonie. Vor wenigen Tagen erst stellte das Bundesumweltministerium der belgischen Atomaufsicht AFCN einen Katalog mit kritischen Fragen zu sogenannten Wasserstoff-Flocken in den Reaktorbehältern von Doel 3 und Tihange 2 zu.
Camille Gira in Belgien
Die Meiler wurden wegen der Materialfehler seit 2012 mehrmals abgeschaltet, bekamen nach Überprüfungen im Dezember aber von der AFCN grünes Licht und fuhren wieder an. Am Montag wollte Luxemburgs Staatssekretär für nachhaltige Entwicklung, Camille Gira, in Belgien die Sorgen seines Landes vermitteln. Und am Mittwoch will die niederländische Umweltministerin Melanie Schultz die Atomanlage von Doel besuchen.
Besonders deren Alter bereitet Unbehagen, denn die beiden ältesten Blöcke Doel 1 und Doel 2 haben jeweils 40 Jahre auf dem Buckel. «Ich fürchte, sie sind zu alt», sagt van Vlierberge. Der Betreiber Electrabel und die belgische Regierung sehen das anders. Im Dezember verlängerten sie die Laufzeit bis 2025. Erst dann sollen alle sieben Meiler in Tihange und Doel im Zuge eines Atomausstiegs stillgelegt werden. Doch wenn bis dahin soviel passiert wie in den zurückliegenden Jahren, dürften die Atomkraftwerke noch für viele unruhige Nächte sorgen.
Nur drei Tage nach der Verlängerung von Doel 1 etwa musste dieser wegen eines Generatorproblems zeitweilig abgeschaltet werden. In Tihange fuhr Electrabel zur selben Zeit einen Reaktor wieder an – nach einem Feuer in der Stromversorgung. Besonders beunruhigend war ein Vorfall im Sommer 2014, als eine Schnellabschaltung von Doel 4 nötig war. Ursache damals war ein durch Sabotage verursachtes Leck in einer Turbinenhalle – die Staatsanwaltschaft schließt weder einen Terrorakt noch eine «Handlung aus Rache» aus.
Electrabel beruhigt
«Ich verstehe nicht, wie solche Dinge passieren können», meint Peter, ein niederländischer Hafenarbeiter aus Kloostarz auf dem Heimweg. Die «Leute sind ein bisschen besorgt» über die ganzen Reaktorprobleme.» Umweltschützer geben ihnen Recht. Eloi Glorieux von Greenpeace bereiten vor allem die Materialfehler in den Reaktordruckbehältern von Doel 3 und Tihange 2 Kopfschmerzen. Wenn diese Hüllen versagten, «dann haben wir einen Unfall vom Typ Tschernobyl und Fukushima», meint der Umweltschützer mit Blick auf die Atomkatastrophen von 1986 in der Ukraine und 2011 in Japan.
Electrabel versucht zu beruhigen: Der Betrieb sei erst nach einer Prüfung wiederaufgenommen worden, die die «strukturelle Integrität» der Hüllen garantiere, sagt die Sprecherin Florence Coppenolle der Nachrichtenagentur AFP. Der Greenpeace-Aktivist Glorieux hält aber dagegen: Falls es doch einen Unfall gebe, würden die Folgen schlimmer sein als nach Tschernobyl und Fukushima. Denn innerhalb eines Umkreises von 30-Kilometer rund um die belgischen Atomanlagen lebten weit mehr Menschen – das schließt auch die Bürger von Nieuw-Namen jenseits der Grenze ein.
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