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Defekte Diplomatie

Defekte Diplomatie
(Alain Rischard/editpress)

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Weshalb die Syrien-Politik zur Farce verkommt

Der Syrien-Krieg wird auf zwei Fronten verloren: zum einen auf dem diplomatischen Spielfeld, zum anderen in den Köpfen zahlreicher Bürger. In Europa stellt die Flüchtlingskrise für viele ein vom Himmel gefallenes ökonomisches und sicherheitspolitisches Problem dar. Menschen aus Bürgerkriegen werden als Wirtschaftsflüchtlinge abgestempelt. Nicht wenige Politiker tragen an dieser Wahrnehmung Mitschuld. Die Folge: Es entsteht in der öffentlichen Diskussion eine Abstrahierung beziehungsweise Entkopplung der Flüchtlingskrise und des Syrien-Kriegs.

Zahlreiche „besorgte“ Bürger sind nicht in der Lage, eine Verbindung zwischen beiden Phänomen zu erkennen. Und selbst wenn es ihnen gelingt, verstehen sie nicht, dass die Mehrheit der syrischen Flüchtlinge, die ihre Existenz auf lebensgefährlichen Routen riskieren, nicht durch ökonomische Anreize motiviert sind.

Die Konsequenzen sind bekannt. Der Druck wird an der falschen Stelle aufgebaut. Man schimpft auf Flüchtlinge, statt sich die Frage zu stellen, weshalb ein derart defektes diplomatisches Spielfeld entstehen konnte, das die Umsetzung ernst gemeinter Friedensvorhaben nicht mehr garantiert. Das wäre in etwa so, als ob man Verkehrsopfer statt die den Unfall verursachenden Raser ins Gefängnis stecken würde.

In der Geopolitik sind die Raser Außenpolitiker und Regierungschefs, die beispielsweise den UN-Sicherheitsrat in eine lahme Ente verwandelt haben. Während vereinzelt humanitäre Lichtblicke von besagtem Gremium ausgehandelt werden konnten, hat das geopolitische Geschachere der fünf ständigen Mitglieder das Leiden in Syrien nur verlängert. Das Gleiche gilt für die von den Vereinten Nationen geleiteten Friedensbemühungen.

Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, wurde bereits vor Beginn der Friedensgespräche ausgebremst. Russland bombardierte Aleppo, um Präsident Baschar Al-Assads Macht wieder zu stabilisieren. Die russische Vorgehensweise legt den Rückschluss nahe, dass Moskau zurzeit kein Interesse an einer schnellen Befriedung des Landes hat. Die eigene Agenda hat Priorität. Umso mehr ist der aktuelle Drei-Punkte-Plan zu Syrien – der im Kern positiv ist und von Russland mitgetragen wird – wenig wert.

Syrien braucht kein „Minsk II“, an das sich niemand hält. Der Drei-Punkte-Plan sieht zahlreiche Task Forces vor, welche die Modalitäten einer Waffenruhe aushandeln sollen. Bereits die vorläufige Vereinbarung liefert großzügige Freiräume, den Friedensprozess zu verzögern oder zu torpedieren. Russland und Assad dürfen getrost weiter Terroristen bombardieren.

Allerdings belassen sie es bekanntlich nicht bei den von den Vereinten Nationen anerkannten Gruppieren wie dem Islamischen Staat (IS) und Al-Nusra – was eine Entschärfung des Bürgerkriegs unmöglich macht. Hinzu kommt die Komplexität der innersyrischen Gefechte: Über 100 Gruppierungen und Milizen bekämpfen sich und gehen immer wieder neue Koalitionen ein.

Durch das Regime in die Ecke gedrängt, kämpfen mittlerweile „Rebellen“ gemeinsam mit Terrorgruppen. Sollte es den USA und Russland nicht gelingen, eine sinnstiftende Diplomatie durchzusetzen, wird der Bürgerkrieg in Syrien zum Dauerzustand oder zu einer noch größeren Katastrophe.