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Wie der IS sich zerstört

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Brüssel, „Foreign Fighters“ und interne Rivalitäten

Während in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Ermittler und Geheimdienste offensichtlich im Kampf gegen den Terrorismus versagen, schläft Europas Führungsspitze ungeniert weiter – dies angesichts einer mittlerweile mehr als realen Terrorbedrohung. Wie oft warnte man in der Vergangenheit zu Recht vor sinnloser Terrorhysterie? Spitzenpolitiker und Diplomaten hatten die Möglichkeit, die Kriege in Syrien, im Irak, im Jemen und letztlich auch in Libyen nicht eskalieren zu lassen. Das Gegenteil passierte.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Inzwischen ist die Hysterie berechtigt. Dies jedoch nicht aus Angst vor Terroristen, sondern vor jenen verantwortungslosen Staatenlenkern und Politikern, die daran glauben, die Abschottung Europas würde uns vor Terrorismus schützen, geschweige denn seine Wurzeln bekämpfen. Hinzu kommt die brandgefährliche Konstellation „USA versus Russland“ mit ihren jeweiligen Stellvertretern, die Europa wie einen hilflos verkrampften Politzwerg aussehen lassen, der kopfnickend und schulterzuckend sein Schicksal über sich ergehen lässt.

Welch blutige Folgen diese fahrlässige Vogel-Strauß-Politik hinterlässt, erleben wir zurzeit. Das kollektive Versagen der internationalen Gemeinschaft hat uns erneut dort erschüttert, wo viele es immer noch – trotz der Pariser Anschläge – für unmöglich hielten: im Herzen Europas, in Brüssel. Es mag stimmen, dass Dschihadisten der „Hausmarke“ Molenbeek auch ohne besagte Kriege den Weg der Radikalisierung beschritten hätten. Allerdings sollte man angesichts solch waghalsiger Hypothesen vorsichtig bleiben.

Die Reichweite der Kriege im Nahen Osten ist nicht zu unterschätzen. Nie zuvor hatten nicht- beziehungsweise parastaatliche Organisationen die Möglichkeit, derart raffiniert multimedial inszenierte Hochglanzpropaganda, wie sie etwa die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) entwickelt hat, zu verwenden. Das bittersüße Gift der sinnlosen IS-Versprechen konnte über die Jahre in die Köpfe naiver, stumpfsinniger, orientierungsloser, verzweifelter oder gefährlicher Jugendlicher und Erwachsener fließen. Von den zahlreichen „Foreign Fighters“ aus Tunesien über Teenies aus Großbritannien bis hin zu Kleinkriminellen aus Frankreich: sie alle fielen auf die IS-Lügen herein und wurden zu Kanonenfutter, Sexsklaven, Selbstmordattentätern oder Desillusionierten.

Die Situation ist allerdings nicht hoffnungslos. Ironischerweise ist der IS dabei, sich selbst zu demontieren. Der Status der „Foreign Fighters“ in Syrien und die Terrorakte der IS-Jünger im Ausland erhöhen signifikant den Druck auf die Terrormiliz. Unter dem Eindruck der Brüsseler Attentate hat die militärische Großoffensive zur Rückeroberung der irakischen IS-Hochburg Mossul und von Palmyra in Syrien begonnen. Es wird Monate dauern, bis sich Erfolg oder Niederlage abzeichnen. Allerdings ist die Schlacht um Mossul und zu einem späteren Zeitpunkt um das syrische Rakka – mit all den zu Unrecht und brutal getöteten Zivilisten, die als „Kollateralschaden“ abgetan werden – ausschlaggebend, um das Ende des IS einzuläuten. Dass die Nummer zwei von „Daesh“, „Finanzminister“ Abdul Rahman Mustafa al-Kaduli, bei einem Luftangriff getötet wurde, spricht Bände. Zudem sollen die Spannungen zwischen den einheimischen IS-Kämpfern und den „Foreign Fighters“ in Syrien zunehmen. Unmut entstand bereits in der Vergangenheit wegen der besseren Entlohnung der europäischen IS-Kämpfer (Araber sind Terrorjünger zweiter Klasse).

Wird der militärische Druck auf die Dschihadisten aufrechterhalten und die interne Zerrissenheit weiterhin gefördert, könnte der IS-Medusa am Ende der Kopf abgeschlagen werden. Eine Lösung für Europas Terrornachwuchs – und für Syriens Präsident Baschar al-Assad, die Quelle allen Übels – ist damit noch nicht gefunden.