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Die Whistleblower-Debatte: Augen nicht verschließen

Die Whistleblower-Debatte: Augen nicht verschließen
(Tageblatt/Alain Rischard)

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Für die einen sind sie die Ritter in Weiß, für andere hinterhältige Verräter: die Whistleblower. Ist die Veröffentlichung von streng geheimen Daten angebracht? Ein Denkanstoß.

Legalität versus Legitimität: Die Whistleblower-Debatte lässt sich in diesem Spektrum am besten beschreiben. Beide Enden des Spektrums sind in ihrer Idealform der Dialektik wegen sinnvoll. Es wäre jedoch zu einfach, die Nuancen der Whistleblower-Thematik zu ignorieren. Bereits LuxLeaks zeigte, dass Luxemburg sich zu Recht auf die Legalität seiner Steuer-Rulings berief. Solange die europäischen „Freunde“ nicht mitmachen und mit dem Finger auf uns zeigen, ist die einseitige Schuldzuweisung reiner Populismus – man ist freiwillig auf einem Auge blind.

Allerdings haben die PanamaLeaks eine andere Dimension. Es geht nicht mehr um ein einziges Land, sondern um ein global verkrebstes Finanz- und Wirtschaftssystem, das legale Wege bietet, illegitim zu handeln. Ein System, das Menschen immer öfter dazu zwingt, gegen ihre Arbeitgeber vorzugehen. Weil sie oft wohl legalen, dafür aber die Allgemeinheit ausbeutenden Geschäften nachgehen. Weil sie kein Gehör für kritische Mitarbeiter finden. Weil ihnen der Reformwille fehlt. Weil ihre Geschäftsmodelle bewusst verworren und undurchsichtig sind. Weil unbequeme Fragen unerwünscht sind. Vor diesem Hintergrund wirken die Handlungen der Whistleblower richtig.

Alles außer selbstlos, aber…

Sind sie aber Helden, Heilige oder Selbstlose? Nein. Im Gegenteil. Viele von ihnen haben eigennützige Motive (man denke nur an den Watergate-Skandal und den FBI-Informanten Mark Felt, auch: „Deep Throat“). Sollte man die Wahrheit demnach vertuschen, weil die Motive vieler Whistleblower alles außer ehrenhaft sind? Nein. Ihre Enthüllungen und die von ihnen „geleakten“ Dokumente sorgen meist dafür, dass politische Fehlentwicklungen oder finanzielle Machenschaften veröffentlicht werden.

Allerdings müssen sich internationale Journalistenkonsortien und mit Whistleblower-Daten arbeitende Journalisten zu Recht die Fragen gefallen lassen: Ergeben die Daten, die du erhalten hast, ein vollständiges Bild? Will jemand dich instrumentalisieren? Nutzt du die Daten, um deine Agenda gegen ein Land oder einen Staatenlenker voranzutreiben?
Trotz oder gerade wegen dieser Fragen sollte glaubwürdiger Journalismus das Risiko eingehen, mit den Daten zu arbeiten.

Die USA skandalfrei?

Dafür muss er aber im Gegensatz zu den meisten „Enthüllern“ ernsthaft für eine kritische Debatte über die Güte der geleakten Daten sorgen. In der Schweiz gelang dies den Journalisten rund um OffshoreLeaks. Bei LuxLeaks und PanamaLeaks scheinen die Ehrlichkeit der Debatte und die Selbstkritik der enthüllenden Journalisten in den Hintergrund zu geraten. Ein Beispiel: Die PanamaLeaks-Weltkarte stellt die USA als skandalfreies Land dar … Really?

Dennoch sollten auch diese Makel nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in einer globalisierten Welt leben, in der Staaten zunehmend hausgemachte Probleme haben, Finanzkriminalität zu bekämpfen. Von demokratischen, mit offenem Visier geführten Debatten über Steuermodelle ganz zu schweigen. Quasi alle Staaten verstecken sich hinter Schuldzuweisungen, um ihre eigenen Errungenschaften zu schützen. Whistleblowing reicht nicht aus, um systemische Probleme zu beheben – die Augen verschließen noch weniger.