Rüdiger Grube umtreibt die Sorge, dass sein Unternehmen abgehängt wird. Dann könnte auch er als Vorstandschef der Deutschen Bahn bald abgehängt sein. Noch ist unklar, ob sein Dienstvertrag, der bis Ende 2017 läuft, verlängert wird. Der digitale Wandel ist schon länger Grubes großes Thema, die Bahn müsse ihn nicht nur mitmachen, sondern vorantreiben, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Nun prescht er beim automatisierten Zugbetrieb vor. «Ich rechne damit, dass wir 2021, 2022 oder 2023 so weit sind, dass wir in Teilen unseres Netzes vollautomatisch fahren können,» sagt der Bahnchef in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Freitag).
Neu daran sind die Jahreszahlen, die Grube nennt. Die beunruhigen die Lokführer und rufen Widerspruch bei Schienentechnikexperten und Gewerkschaftern hervor. Die Arbeitnehmervertreter befürchten den Verlust von Arbeitsplätzen.
«Schwachsinn», «Treppenwitz der Geschichte», ätzt der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Claus Weselsky: «Hier ruft jemand, der nicht in der Lage ist, das Tagesgeschäft zu organisieren, nach der Zukunft, nach führerlosen Triebwagen.» Man könne «zwar davon träumen, führerlos zu fahren, aber die äußeren Einflüsse sind viel zu groß, als dass man auf Menschen verzichten kann», argumentiert er im Hessischen Rundfunk.
Menschen lassen sich nicht in allen Bereichen ersetzen
Der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Alexander Kirchner, drückt sich konzilianter aus: «Das ist ein langer Prozess, bei dem es viele technische und rechtliche Fragen zu klären gibt,» sagte er der dpa. Der Mensch lasse sich im Eisenbahnbetrieb jedenfalls nicht in allen Bereichen ersetzen.
Weltweit gibt es schon eine Reihe führerlose Bahnen, meist sind das aber geschlossene Systeme wie U-Bahnen und Pendelzüge auf Flughäfen. Alle sind sich einig, dass die Eisenbahn komplexer ist. Noch dazu fährt sie unter freiem Himmel und durch Wälder und Felder. Wenn es klappen sollte, gäbe es einen großen Vorteil: Personen- oder Güterzüge könnten dann in dichterem Abstand hintereinander fahren. Das heißt: Mehr Kapazität auf der gleichen Strecke.
In wenigen Wochen beginnt die Deutsche Bahn im Erzgebirge in Sachsen mit einem Pilotprojekt. Auf der rund 30 Kilometer langen Strecke von Annaberg-Buchholz nach Wolkenstein sind tägliche Testfahrten mit einer Diesellok geplant, die mit Computer, Videokameras und Sensoren ausgerüstet wird. Das System soll Signale erkennen, Hindernisse identifizieren und entsprechend reagieren. Hängt da nur ein harmloser, dünner Zweig im Gleis oder liegt ein Baum auf den Schienen? Dabei stehe man noch am Anfang, räumt ein Bahnsprecher ein: «Wir glauben aber, dass wir die Probleme lösen können.»
Kritik an der «Insellösung» der Bahn
Folgt man dem Bahnexperten Markus Hecht von der Technischen Universität Berlin, dann ist die Deutsche Bahn beim führerlosen Zugfahren nicht vornedran, sondern im Hintertreffen. Teilstrecken von Thameslink in England würden bereits ohne Lokführer betrieben. In Australien gebe es Erzzüge, die sehr lange Strecken ohne einen Menschen an der Spitze zurücklegten, sagt der Professor, der das Fachgebiet Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr leitet.
Hecht hält es vor allem für einen Fehler, dass die Bahn allein für sich forscht. «Das ist eine Insellösung, die nichts bringt.» Die Deutschen müssten vielmehr auf eine europäische Lösung hinarbeiten und dabei große Hersteller wie Bombardier und Siemens, die großen Eisenbahnen in den Nachbarstaaten sowie die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) als Aufsichtsbehörde einbinden.
Das modernste Zugleitsystem ETCS als Zwischenschritt und Voraussetzung für voll automatisierten Zugbetrieb gebe es bislang nur auf der Strecke Leipzig-Erfurt, kritisiert Hecht. Ein Hauptproblem sieht er darin, was passiert, wenn ein Zug wegen einer Fehlermeldung gestoppt wird. «Wer stellt dann fest, dass es ein Fehlalarm war? Wer gibt das Kommando, dass der Zug weiterfahren darf?» In der Praxis dürfte das nach Einschätzung Hechts häufiger passieren, als es der Bahn lieb ist.
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