Eine Woche vor der entscheidenden Abstimmung in Großbritannien planen vor allem die ausländischen Banken in London ihre Zukunft. Wohin werden sie ziehen, wenn Großbritannien aus der Europäischen Union austritt? Der größte Finanzplatz der Welt wird dann vor der Tür Europas stehen und Schwierigkeiten haben, mit Europa Finanzhandel zu betreiben. Andererseits muss Europa sich ein neues Finanzzentrum suchen, einen Nachfolger für London.
Nachfolger für London
Seit Monaten bereits studieren die Banken in London Pläne wo sie sich niederlassen werden, wenn London nicht mehr zur Europäischen Union gehört. Von Zeit zu Zeit wird deutlich, wohin der Weg führt. BNP Paribas will einen großen Teil der Investmentbankier von London nach Paris an den Hauptsitz zurückziehen. Offiziell wird das mit einer Restrukturierung der Investmentsparte begründet. Gekämpft wird dabei hinter den Kulissen mit reichlich unfairen Mitteln. Das wurde deutlich auf einem Forum der Vereinigung „Paris Europlace“. „Paris liegt auf dem fünften Platz hinter Frankfurt, Amsterdam, Luxemburg und Dublin, was die Neigungen der Delokalisierung angeht, wenn man in London Banker nach ihren Wünschen fragt“, erklärte Kyril Courboin, Chef von JP Morgan für Frankreich und Benelux.
Der Trend „weg von London“ ist eindeutig. Morgan Stanley will 1.000 Mitarbeiter will der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge auf dem Kontinent ansiedeln, äußert sich aber noch nicht zum Standort. Goldman Sachs beschäftigt über 5.000 Mitarbneiter in London. Seit 2013 kündigt die Bank an, einen Teil nach Frankfurt oder nach Paris zu transferieren.
Bank in Luxemburg gründen
Bei der Abwägung der Standorte sticht Luxemburg mit seinen technischen und fiskalischen Qualitäten hervor. Der Londoner Zeitung „The Times“ zufolge haben HSBC und JP Morgan seit einem Jahr bereits Pläne entwickelt, einige ihrer Aktivitäten nach Luxemburg zu verlegen. JP Morgan soll in Luxemburg eine europäische Bank gründen, um auf dem Kontinent unter Aufsicht der Europäischen Zentralbank zu arbeiten und seine europäischen Aktiva zu verwalten.
Allerdings müssen sich die in Europa stets verkannten und häufig als Finanzparadiese verleumdeten Standorte Luxemburg und Dublin auch mit anderen seltsamen Argumenten auseinandersetzen. Würde man, erklärt Kyril Courboin auf dem Pariser Forum, nur zehn Prozent der 300.000 Arbeitsplätze nach Dublin und nach Luxemburg transferieren, wäre beide Standorte saturiert. Der französischen Wirtschaftszeitung „les ECHOS“ zufolge äußerten sich Banker auch negativ zur Lebensqualität in Luxemburg und in Dublin. „Trader sind an einen gewissen Lebensstandard und einer gewisse Lebensqualität gewöhnt. Luxemburg und Dublin beherbergen back-offices. . . „
Seltsame Argumente
Paris rollt gegenwärtig in London der Finanzwelt den roten Teppich aus. Die französische Hauptstadt muss dabei Handicaps überwinden. Paris liegt hinter Frankfurt in den finanziellen Infrastrukturen, ist geschwächt durch eine härtere steuerliche Behandlung und politisches Misstrauen gegenüber Banken. Hinzu kommt eine erhebliche soziale Instabilität. In der derzeitigen Situation der Sozialrevolte in Paris erfordert das Werben für den Standort Paris erheblichen Mut. Bei den Bankiers sieht die Situation anders aus. Die HSBC erklärte im Februar 2016, dass sie bereit wäre, 20 Prozent ihrer 5.000 Mitarbeiter nach Paris auszulagern. Ob die Bank das derzeit auch noch will, ist eine andere Frage.
Für die Banken ist Frankfurt einer der anziehendsten Standorte. Mit 66.000 Finanz-Mitarbeitern stellt Frankfurt zwar nur ein Fünftel der 300.000 von London. Aber Frankfurt als Standort der deutschen Finanzindustrie weist alle Infrastrukturen aus, die es in London ebenfalls gibt. Die beabsichtigte Fusion der Frankfurter und der Londoner Börse sollen ebenfalls Trümpfe der Hessen sein. Nicht zu reden von der sozialpolitischen Stabilität, von der in Paris nicht die Rede sein kann.
Bronze für Luxemburg
Im internationalen Ranking gibt es bei den Finanzplätzen Überraschungen. Der Think Tank Z/Yen Group hat in seiner 19. Studie zu den internationalen Finanzplätzen in Westeuropa auf den ersten fünf Plätzen London vor Zürich (2), Luxemburg (3), Genf (4), Frankfurt (5) gesetzt. Paris erscheint in der westeuropäischen Liste auf dem siebten Platz.
Im weltweiten Ranking liegt London mit Bestnote von 800 Punkten auf dem ersten Platz vor Zürich (sechster Platz/714 Punkte), Luxemburg (14/698 Punkte), Genf (15/694 Punkte), und Frankfurt (18/689). Paris erscheint auf Platz 32 mit 667 Punkten, Dublin auf Platz 39 mit 643 Punkten. Die Studie steht unter www.zyen.com.
Arbeitsteilung
Wo bei den Banken die Entscheidungen noch in den Schubladen liegen, ist bei den Investmentfonds die Entscheidung schon seit Jahren gefallen. Luxemburg liegt mit einem verwalteten vermögen von drei Billionen Euro auf Platz zwei hinter den USA in der Welt und ebenso unangefochten auf Platz eins in Europa. In der Vergangenheit hatte sich eine Arbeitsteilung ergeben. Das Fondsmanagement sitzt, etwa bei Fidelity oder Schroders in London, Verwaltung und Vertrieb in Luxemburg. Diese Arbeitsteilung löst sich langsam auf. Luxemburg wird nach und nach auch der Ort für das Fondsmanagement, wobei Fondsmanager überrascht sowohl Lebensniveau als auch Lebensqualität in Luxemburg finden. Die Digitalisierung macht auch die unmittelbare Nähe zu einer Börse nicht mehr notwendig für die Platzierung der Orders.
Die Abstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union findet am kommenden Donnerstag statt. Danach wird – so oder so – Europa auch in der Finanzwelt ein anderes sein.
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