«Analysieren, wie das liberale Vorkriegs-Luxemburg übergeglitten ist zu mehr Nationalismus und einem stärker ausgeprägten, nicht zuletzt wirtschaftlich bedingten Protektionismus.» So definieren die Historiker Denis Scuto und Vincent Artuso die Forschungsarbeit, die sie in den nächsten zwei Jahren über die Einstellung und Politik der Luxemburger Behörden in der Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg erstellen werden.
Am Anfang steht ein persönliches Erlebnis. Prof. Dr. Denis Scuto wurde 2013 privat auf das Schicksal einer jungen Jüdin angesprochen, die in Luxemburg aufwuchs und studierte, die dann aber 1941 nach Belgien flüchten musste. Nach Kriegsende wurde die talentierte Musikerin zwar nach Luxemburg verpflichtet, um beim Rundfunksender RTL Klavierkonzerte zu geben, eine definitive Aufenthalts- oder gar Arbeitsgenehmigung jedoch bekam sie nicht – weil sie nicht die luxemburgische Staatsangehörigkeit hatte.
Viele Fragen
Vielmehr wurde sie aufgefordert, sich Israel nieder zu lassen. Das hat Dina Grossvogel dann auch getan. Erst nach ihrem Tod vor zwei Jahren fanden ihre Kinder sämtliche Spuren ihres Emigrantenlebens wieder. Und trafen so auf den Luxemburger Historiker, der sich seit vielen Jahren mit der Emigration aus und in Luxemburg beschäftigt.
«Allein aus diesem Beispiel ergeben sich unendlich viele Fragen und Forschungsbereiche», sagt Scuto und spricht von der Einstellung der Behörden, von der Zusammenarbeit der Luxemburger Beamten mit der Besatzungsmacht, von der Behandlung der Flüchtlinge vor und nach dem Krieg, von der Haltung der zivilen Bevölkerung, von der Kollaboration und der «Epuration», der Aufklärung der Beweggründe der Einzelnen.
Internationale Dimension
Wer wurde bestraft, wer konnte nach dem Krieg seine Arbeit weitermachen? Wer hat öffentlich kollaboriert und wer hat sich geduckt, um dem Zwang zu entweichen. Wer hat einfach Mund und Augen zugemacht und wer hat das fremde Gedankengut integriert? «Diese Aspekte wurde bislang kaum erforscht,» sagt Vincent Artuso, der zweite Partner der Forschungsarbeit, die gewissermaßen eine Weiterführung des Berichtes ist, den er vor einem Jahr der Regierung vorgelegt hat und der dazu geführt hat, dass sich Premierminister Xavier Bettel im Namen der Regierung öffentlich bei der jüdischen Bevölkerung entschuldigte.
Die neue Forschungsarbeit wird sich über zwei Jahre erstrecken und über die rein luxemburgischen Erkenntnisse hinaus, mit Ateliers und Kolloquien, sowie einem internationalen Begleitkomitee auch eine internationale Dimension bekommen. „Vergleiche mit dem Ausland sind wichtig“, sagt Scuto. Dabei spricht er sowohl die heutige Forschung an, bei der Luxemburg stark ins Hintertreffen geraten ist, als auch den Vergleich der Haltung der Behörden und der Bevölkerungen während der Besatzungszeit.
Persönliche Erlebnisse
Ob und wie diese Arbeit, an der neben den beiden Projektträgern noch weitere Wissenschaftler eingebunden werden sollen, in das Konzept des neugeschaffenen Institutes für Zeitgeschichte einfließen soll, konnten Scuto und Artuso bei der Vorstellung des Projektes noch nicht sagen. Beantworten konnten sie jedoch die Frage nach der – recht ungewöhnlichen – öffentlichen Ankündigung des Projektes: «Wir suchen und brauchen persönliche Erfahrungen, Dokumente und Erlebnisse, wie die Geschichte, die an Anfang des Projektes steht,» so Scuto.
«Wir müssen die Fragen, die mein erster Bericht aufgeworfen hat, weiter vertiefen,» so Artuso. Deshalb soll die Zeitspanne erweitert und die Entwicklung Luxemburgs zwischen 1930 und 1950 analysiert werden. Nur so lasse sich herausfinden, ob die diskriminierende Immigrationspolitik der Dreißigerjahre das Terrain für die Zusammenarbeit mit den Nazibehörden vorbereitete, ob diese freiwillig oder erzwungen erfolgte und ob die Bemühungen der Exilregierung um Hilfe für die jüdische Bevölkerung ausreichend waren, beziehungsweise wie die Zurückgekehrten aufgenommen wurden.
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