Nach dem Brexit-Votum der Briten hat nun offiziell das Buhlen um Unternehmen begonnen, die Großbritannien verlassen wollen. Die beiden größten Volkswirtschaften der EU, Deutschland und Frankreich, machen sich nun gegenseitig Konkurrenz. Es geht um Steuereinnahmen und Arbeitsplätze.
Der französische Ministerpräsident Manuel Valls gegenüber der Zeitung Le Parisien: „Großen internationalen Unternehmen sage ich: ‹Willkommen in Paris! Kommt und investiert in Frankreich!’“ Dem Tagesspiegel zufolge hat die Berliner Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer bereits am Tag des Brexit-Votums Briefe an britische Unternehmen verschickt, um sie in die deutsche Hauptstadt zu locken. Weitere Briefe sollten folgen.
In Großbritannien denkt man laut über Steuersenkungen nach, um die Unternehmen halten zu können. Gegenüber der Financial Times kündigte der britische Finanzminister George Osborne eine Senkung der Körperschaftssteuer von derzeit 20 auf 15 Prozent an. Zynische Beobachter erkennen gar, wie das Vereinigte Königreich sich zu einer Steueroase umfunktioniert.
Und auch Luxemburg hat hier ein Wörtchen mitzureden. So sagte der Präsident des deutschen Ifo-Instituts, Clemens Fuest, gegenüber dem deutschen Fernsehen, nicht alle diese Unternehmen ziehe es automatisch nach Frankfurt. Auch die Finanzplätze Paris und Luxemburg stünden zur Auswahl.
Auch die Europäische Bankenaufsicht und die Europäische Medizin-Agentur sitzen in London. Im geschäftigen Stadtteil Canary Wharf. Auch sie werden ein neues Zuhause brauchen, wenn das Königreich das Abstimmungsergebnis in die Realität umsetzt. Hier geht es allerdings auch um Politik und nicht nur um die nackten Zahlen.
Die Finanzinstitute und Unternehmen stehen nun einerseits vor einer schwierigen Aufgabe. Der Umzug einer Firma mit mehreren tausend Mitarbeitern von einem Land in ein anderes ist nicht einfach zu bewerkstelligen. Auch weil die Gesetze, die in London gelten, nicht unbedingt die gleichen sind wie in Paris, Luxemburg oder Frankfurt. Ein solcher Umzug dürfte langwierig und mit erheblichen Kosten verbunden sein.
Andererseits befinden sie sich in einer bemerkenswerten Lage. Obwohl sie gewissermaßen durch das Brexit-Votum unter Zugzwang stehen, können sich die Unternehmen aussuchen, wohin sie nun ziehen wollen, wenn sie sich entscheiden, den Standort zu wechseln, und können sicher sein, dass sie mit offenen Armen empfangen werden. Die Unternehmen sitzen am längeren Hebel und haben mehr Verhandlungsmacht.
Das könnte den ohnehin bestehenden Steuerwettbewerb in Europa weiter anfeuern. Die einzelnen Staaten könnten versucht sein, sich mit immer tieferen Steuern auszubooten. Zudem deutet einiges darauf hin, dass die europäische Integration ins Stocken gerät und die Staaten lieber wieder weniger zusammenarbeiten und dafür mehr Entscheidungen alleine oder auf bilateraler Ebene treffen wollen. Auch das könnte den Unternehmen in ihrer komplizierten Lage in die Hände spielen.
ygreis@tageblatt.lu
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können