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Aufklärer und Verbote

Aufklärer und Verbote
(Alain Rischard/editpress)

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Zur Burkini-Diskussion an den Stränden

Fremde Frauen am Strand zu fotografieren, ist eine Provokation. Ob sie nackt sind, Bikini tragen – oder eben Burkini: Es gehört sich nicht. Dass in Korsika aus einer solchen Szenerie eine Massenschlägerei, eine Mobilisierung aufgebrachter Bürger und eine politische Entscheidung hervorgehen, zeigt aber das Dilemma auf, in dem Europa steckt. Wir haben scheinbar verlernt, wie mit religiösen Symbolen im öffentlichen Raum umzugehen ist. Und ein Burkini ist nun einmal ein Symbol; so wie etwa eine Regenbogenfahne auch mehr ist als ein buntes Stück Stoff, wie ein Facebook-Nutzer treffend kommentierte.

Frankreich, wo Cannes das erste Burkini-Verbot verhängt hat, will weltanschaulich neutral sein. Es ist das Prinzip der Laizität. Dieser Argumentation folgte nun der konservative Bürgermeister der Stadt, als er meinte, Strandkleidung müsse „die guten Sitten und die Laizität respektieren“. Der Burkini tut das demnach nicht. Oder, seit den Attentaten, nicht mehr. Für den Generaldirektor der städtischen Dienste aus Cannes ist der Burkini gar eine „ostentative Kleidung, die auf eine Zugehörigkeit zu terroristischen Bewegungen hinweist, die gegen uns Krieg führen“.

Die britische BBC befragte muslimische Frauen zum Burkini-Verbot. Der Tenor war einhellig: Wieso müssen wir unsere Körper entblößen, wenn wir das nicht wollen? Was in der Tat eine gute Frage ist, die anders formuliert lauten kann: Darf es einen Zwang zur teilweisen Nacktheit geben? Gibt es ihn nämlich, ist er gleichbedeutend mit einem Strandverbot für strenggläubige Musliminnen. Bevor diese mit den Vorgaben ihrer Religion brechen, werden sie auf den Badespaß am Meer verzichten. Die Integration oder Interaktion mit den Mitmenschen muss dann woanders stattfinden. Verbote sind – und das ist nichts Neues – selten ein gutes Mittel zur Versöhnung.

Wenn aber religiöse Zeichen, die immer im Spiegel ihrer Zeit gelesen werden müssen, die Gesellschaft offensichtlich spalten, soll die Politik eingreifen. Ob sie das moderierend oder ausgrenzend tut, muss sie von Fall zu Fall erwägen. Erinnert sei trotzdem daran, dass ein Burkini, der den Körper, nicht aber das Gesicht einer Frau verdeckt, im Gegensatz zur Burka (die in Frankreich seit 2011 verboten ist) die Trägerin nicht entmenschlicht.
Das Verbot und die Diskussion darum sind ein Drahtseilakt. Und das nicht nur wegen unserer aus Terrorangst und Hass gespaltenen Gesellschaft. Der freie Geist in Europa bekämpft religiöse Symbole nicht erst, seitdem es islamistischen Terror gibt. Der Essayist Konrad Paul Liessmann erinnerte vor kurzem im österreichischen Der Standard: „Wären die Aufklärer und Religionskritiker, von Voltaire über Feuerbach bis zu Marx, Nietzsche und Freud ähnlich wie wir von der Besorgnis getragen gewesen, nur ja keine religiösen Gefühle zu verletzen, hätte es keine Aufklärung, keine Menschenrechte, keine moderne Lebenswelt gegeben.“

Anders gesagt: Wer sich Religionen nicht entgegenstellt, überlässt ihnen den Raum, den sie brauchen, um ins öffentliche Leben zu drängen. Das gilt nicht nur für den Islam. Gefragt sind Fingerspitzengefühl und Entschiedenheit. Bei Scharia-Gerichten oder der Burka etwa Entschiedenheit. Beim Burkini aber eher Fingerspitzengefühl.