Nach dem für die EU einer tektonischen Verschiebung gleichkommenden Brexit-Votum und den in den vergangenen Wochen und Monaten angestauten Zwistigkeiten und Verwerfungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen ihnen und den europäischen Institutionen wollten sich die verbleibenden 27 bei ihrem Gipfeltreffen in der slowakischen Hauptstadt Bratislava neu sammeln. Dabei sollten die EU-Staats- und Regierungschefs nicht nur ein Signal aussenden, dass sie nach wie vor zu dieser Union und allem, was diese ausmacht, stehen. Durch die Ankündigung konkreter politischer Maßnahmen sollte auch die für das Gelingen des Projektes Europa notwendige Vertrauensbasis mit den Bürgern wieder auf festeren Grund gestellt werden.
Dass sich dieses Vorhaben nicht auf Anhieb zur Zufriedenheit aller umsetzen ließe, war zu erwarten. Sicherlich müssten für den italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi die wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Probleme seines Landes, mit Blick auf das bevorstehende Verfassungsreferendum, bei dem Renzi seine politische Karriere aufs Spiel setzt, dringender gelöst werden. Und dass der Hardliner Viktor Orban aus Budapest, der mit größter Unbarmherzigkeit glaubt, das christliche Abendland gegen die Habenichtse aus dem syrischen Bürgerkriegsland verteidigen zu müssen, ebenfalls unzufrieden mit dem Ergebnis des Gipfels ist, dürfte auch nicht verwundern.
Die Mehrheit der Gipfelteilnehmer, aber vermutlich auch der Europäer, dürfte jedoch zufrieden sein, da ja am vergangenen Freitag insbesondere versprochen wurde, die EU-Außengrenzen wieder sicher sprich dicht zu machen. Was vor allem im Sinne des deutsch-französischen Duos Merkel-Hollande ist. Im vergangenen Jahr rettete Kanzlerin Angela Merkel die Ehre der EU, indem sie es zuließ, dass die ohnehin nicht aufzuhaltenden Hunderttausenden an Flüchtlingen ins „deutsche Europa“ ziehen konnten. Jetzt muss die EU die innenpolitisch unter Druck geratene deutsche Kanzlerin retten, indem alles getan werden soll, um den Zuzug weiterer Flüchtlinge zu drosseln.
Das und die zur Stärkung der Sicherheit in der EU angekündigten Maßnahmen entsprechen vielleicht den Erwartungen einer Reihe von EU-Bürgern, dienen aber vorerst nur einigen Staats- und Regierungschefs wie eben Merkel und Hollande. Doch das allein reicht nicht aus, um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU-Politik zugunsten der Bürger wiederherzustellen. Zu wenig wurden die wirtschaftlichen und sozialen Sorgen der Menschen berücksichtigt. Wobei dies doch so einfach gewesen wäre.
Die 27 hätten klarstellen können, dass sie beim ausgehandelten Freihandelsabkommen mit Kanada auf alle Kritiken eingehen würden. Sie hätten versprechen können, im CETA-Vertrag festzuschreiben, dass dieser nicht zu weiteren Privatisierungen führt, vor allem was die öffentlichen Dienstleistungen anbelangt, existierende Schutzstandards in allen möglichen Bereichen bestehen bleiben und weiter ausgebaut werden können und dass das Vorsorgeprinzip auch auf Import angewandt werden muss. Damit hätten die 27 Vertrauen zurückgewonnen. Diese Chance aber wurde verpasst.
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