Aus der Traum vom Kalifat, vorbei die heißesten TV-Momente, seit es Hinrichtungsvideos gibt: Die Propagandamaschine namens IS ist quasi stillgelegt. Fürchtete sich vor einem Jahr die ganze Welt vor dem „barbarischen Islamischen Staat“, so zeigt sich mittlerweile, wie wichtig die Kommunikationsstrategie der IS-Terrorjünger war. Seitdem die Terroristen rund um Abu Bakr al-Baghdadi militärisch unter Druck geraten sind, ist die Medienmaschine der Bärtigen kaltgestellt. Die beste Propaganda-Strategie hilft nicht, wenn man unter Beschuss ist. Und genau dies ist zurzeit der Fall. Unter dem Eindruck der militärischen Aktionen gegen den IS lässt sich nur noch schwer das Bild der unbesiegbaren Dschihadisten aufrechterhalten.
Wer sich noch an die erste Propaganda-Veröffentlichung des IS erinnert, weiß, mit welcher Wucht die Weltöffentlichkeit von einer vermeintlichen Übermacht überzeugt werden sollte. Ein Reporter von Vice News wurde in das neu ausgerufene Kalifat eingeladen und sollte in der syrischen IS-Hochburg Rakka die straffe bürokratische Ordnung und das neue Justizsystem der Terrorjünger kennenlernen. Die Propaganda-Aktion gelang, die Bilder gingen um die Welt und jeder glaubte an die Übermacht des IS.
Nach wochenlangen Bombardements der amerikanischen Anti-IS-Koalition und nach dem Vormarsch der russischen Armee, die Machthaber Assad zur Seite eilte, wird es mittlerweile recht eng für den IS. Mit fröhlichen Bürgern und sprießenden Öl-Geschäften lässt sich derzeit nicht wirklich Werbung machen. Dabei war die Idee der Errichtung eines sunnitischen Kalifats der signifikante Unterschied zu anderen Terrororganisationen, die meist dezentralisiert agieren. Der IS hatte sich in aller Transparenz auf die Fahnen geschrieben, die Grenze zwischen Syrien und dem Irak zu durchbrechen und alles, was ihm in den Weg kommt, zu unterjochen. Davon geblieben ist lediglich die Ideologie. Die Territorien und auch die Erfolge können nicht mehr mit den Highlights 2015 mithalten … Allerdings sollte der quantitative und qualitative Rückgang der IS-Propaganda nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade das mögliche Ende vom Traum des Kalifats eine neue Gefahrenquelle darstellt. Viele der Foreign Fighters, die in Syrien und dem Irak eine Art Terror-Disneyland suchten, kehren – sollten sie nicht im Kampf fallen oder anderen Terroristen die Treue schwören – eines Tages zurück. Demnach ist mittlerweile die Rekrutierungsstrategie des IS gebrochen – der Kampf um Aleppo verdeutlicht, in welch entscheidende und abscheuliche Phase der syrische Bürgerkrieg gelangt ist –, allerdings bedeutet dies keineswegs, dass der Westen nun sicherer ist. Im Gegenteil. Es könnte aufgrund der Terrorheimkehrer zu mehr Anschlägen als bislang kommen. Unschuldige Flüchtlinge, wie jene in Chemnitz, die Zivilcourage bewiesen haben, tun einem jetzt bereits leid. Jeder Flüchtling steht mittlerweile unter Generalverdacht.
Außerdem bleibt die seit mindestens einem Jahr unbeantwortete Frage: Wie sollen die Behörden in der Region mit Kindern umgehen, die IS-Gehirnwäschen durchlaufen haben? Wie soll das Vertrauen zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden wiederhergestellt werden? Wie sollen Flüchtlinge, die wieder heimkehren, Nachbarn in die Augen schauen, die mit dem IS kollaboriert haben?
Bevor jedoch diese Fragen geklärt sind, wird im syrischen Stellvertreterkrieg, in dem der IS zur Randnotiz geworden ist, noch viel Blut vergossen werden.
dsabharwal@tageblatt.lu
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