Sonntag21. Dezember 2025

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McCarthys Geist – Die etwas andere Hexenjagd

McCarthys Geist – Die etwas andere Hexenjagd

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Donald Trumps Russland-Politik steht seit Monaten unter Beschuss. Ist der US-Präsident Opfer einer neuen Form des McCarthyismus? Eine Analyse.

Man möchte nicht in der Haut eines Amerikaners stecken. Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, intransparente Finanzen und ein vollständiger Mangel an Respekt vor der Würde des Amtes: Es gibt vieles, für das man US-Präsident Donald Trump als Demokrat oder Republikaner kritisieren kann. Besonders schwierig wird es jedoch in Sachen Russland. Man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass jegliche Handlung, die auch nur ansatzweise eine Entspannungspolitik mit Moskau verfolgt, prinzipiell abgelehnt wird.

Wer ist Joe McCarthy?
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat den Aufschrei um Treffen des US-Justizministers Jeff Sessions mit dem russischen Botschafter in den USA kritisiert. Kontakte mit Beamten und Abgeordneten seien Teil der Pflichten eines jeden Botschafters, argumentierte Lawrow am Freitag. Der Druck auf Sessions «ähnelt stark einer Hexenjagd oder den Zeiten des McCarthyismus‘, von denen wir dachten, dass sie in den Vereinigten Staaten als zivilisiertem Land lange vorbei wären». Der US-Senator Joseph McCarthy hatte in den 1950er Jahren eine Jagd auf angebliche kommunistische Verräter angeführt, die seiner Vermutung nach in der Regierung und im Militär tätig waren. Bis heute steht sein Name für den Anti-Kommunismus.

Stimmt also Trumps Vorwurf, er sei Opfer einer modernen Form der Hexenjagd, die Züge eines historisch gewachsenen McCarthyismus trägt? Ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht. Auf einer oberflächlichen Ebene hat „The Donald“ zunächst recht.

Kampf um Deutungshoheit

Spätestens seit der Ukraine-Krise und dem daran gekoppelten Syrien-Krieg verbreiten russische Medien ihre Propaganda. Die NATO reagierte mit einer Gegenoffensive, um mit ihrer eigenen Propaganda den Kampf um die Deutungshoheit zu gewinnen.

So trommeln verschiedene US-Medien im Stil des bis heute berüchtigten Kommunistenjägers McCarthy für eine Konfrontation mit Russland. Besonders erschreckend ist in diesem Zusammenhang die Selbstverständlichkeit, mit der die russische Bevölkerung mit der Putin-Regierung gleichgesetzt wird.

Der russische Präsident genießt zwar hohes Ansehen in der Bevölkerung, allerdings zeigte alleine der Syrien-Krieg, dass auch die Russen ein sehr feines Gespür für die teils fragwürdigen außenpolitischen Abenteuer Putins haben. Woran sich noch kaum jemand zu erinnern vermag: Noch bevor Moskau in Syrien Präsident Baschar Al-Assad zur „Hilfe“ eilte, untermauerten alle Meinungsumfragen, dass die Russen eine militärische Intervention in dem kriegsgebeutelten Land für eine schlechte Idee hielten.

Keine „détente“

Insofern ist es fahrlässig, dass amerikanische Regierungs- und Militärkreise Russland per se als kriegshungrige Nation abtun. Zudem sind die Entstehungsgeschichten des Ukraine- sowie des Syrien-Konflikts zu komplex und die Bilanz der Sanktionspolitik zu schwach, als dass das Erwähnen einer möglichen „détente“ mit Russland einfach als Ding der Unmöglichkeit abgetan werden könnte.

Auf dieser sehr prinzipiellen Ebene kann man in den USA demnach eine historisch-kulturell gewachsene Ablehnung Russlands erkennen. Obschon nach den Jahren des McCarthyismus politische Generationen folgten, die auf den Dialog setzten, führte der Zusammenbruch der Sowjetunion dazu, dass die USA sich in einen aus heutiger Sicht gefährlichen Gewinner-Diskurs verirrten.

Gespenst des Kommunismus

Russland wird in den USA in politischen, aber auch zivilgesellschaftlichen Kreisen immer noch mit Kommunismus verbunden und prinzipiell als Feind betrachtet. Was den US-Regierungen trotz Lobeshymnen auf Michail Gorbatschow und Boris Jelzin misslang, war der Umgang mit Putins Russland, das wie die USA aggressiv auftrat und sich mit seinen eigenen kriegerischen Exzessen ähnlich wie Washington – man denke nur an den Irak- und Libyen-Krieg – in haarsträubende Militärabenteuer manövrierte.

Insofern kam Trump angesichts dieser Entwicklung zu einem Zeitpunkt an die Macht, an dem es zum guten Ton als US-Präsident gehört, kein gutes Haar an Russland zu lassen. Allerdings wird die Beurteilung von Trumps Russland-Politik komplexer, wenn man sich von seiner rein pragmatischen Haltung gegenüber Moskau hin zu seinen konkreten Handlungen wendet. Denn auch hier scheint niemand mehr so recht durchzublicken, was etwa während des US-Wahlkampfs tatsächlich passiert ist.

Infos der Geheimdienste

Vor allem der Rücktritt von Trumps Nationalem Sicherheitsberater Michael Flynn verdeutlicht, inwiefern Trumps „Hexenjagd“-Vorwurf zutrifft und wo der Vergleich sinnlos ist.

So viel steht fest: Alle Informationen, die zu Flynns Rücktritt geführt haben, basieren auf Erkenntnissen der US-Geheimdienste, die ihre eigenen Präsidentschaftskandidaten und deren Teams ganz legal während ihrer jeweiligen „Campaign Rallies“ ausspionieren können, wenn etwa der Verdacht auf Verrat besteht.

Flynn stolperte über ein Gespräch, das er mit Russlands Botschafter Sergej Kisljak vor dem Antritt der neuen US-Regierung über das Thema Sanktionen geführt hatte. Darüber hatte er später gegenüber dem FBI geschwiegen. Er hatte also die amerikanische Bundespolizei angelogen und sich damit tatsächlich strafbar gemacht.

Die Scheindebatte

Verfolgte man jedoch zum Zeitpunkt der Affäre die US-Öffentlichkeit, so stand nicht die Lüge so sehr im Vordergrund, als viel mehr die Tatsache, dass Flynn es gewagt hatte, Kontakt mit Russlands Botschafter aufzunehmen. Vor allem das demokratische Lager kritisierte aus seiner Trump-Ablehnung heraus die vermutete Annäherung an Moskau.

Doch weder die Lüge des Nationalen Sicherheitsberaters noch der öffentliche Druck auf Trump brachten Flynn zu Fall. Erst als Berichte an die Öffentlichkeit gelangten, Vizepräsident Mike Pence habe erst zwei Wochen nach Trump von Flynns Lüge aus Medienberichten erfahren, war Flynns Todesurteil gesprochen.

Und genau diese widersprüchlichen Signale, die aus dem Weißen Haus kommen, erschweren die Beurteilung des Hexenjagdvorwurfs. Es scheint, als sei Trumps harter Kern rund um seine Berater und ihn zu allem bereit, um die Beziehungen zu Moskau um jeden Preis zu verbessern.

Gleichzeitig ist das Establishment aus seinen eigenen republikanischen Reihen nicht an einer Annäherung interessiert. Auffällig ist zudem, wie die Demokraten nun anti-russische Ressentiments nutzen, um Trump zum Sturz zu bringen. Es ist unbestritten, dass das Weißwaschen der russischen Weste purer Zynismus wäre. Es ist jedoch mindestens genauso gefährlich, Moskau auf allen Ebenen und in jeder Hinsicht zu verteufeln.

Falken wie Clinton

Gerade die Demokraten scheinen seit Trumps Wahl und bereits vorher unter Falken wie der damaligen Außenministerin Hillary Clinton verlernt zu haben, den Dialog mit Russland zu suchen.

Der Begriff des McCarthyismus greift somit nicht weit genug. Es sind nicht mehr ausschließlich die Republikaner, die aus der prinzipiellen Ablehnung Russlands ein innen- und außenpolitisches Dogma machen.

Republikaner und Demokraten unterscheiden sich in ihrer Einstellung gegenüber Russland kaum mehr. Lediglich die Hexenjagd ist geblieben. Paradoxerweise richtet diese sich zum einen gegen den amtierenden US-Präsidenten und so ziemlich gegen jeden, der trotz oder gerade wegen Moskaus Imitation der US-Außenpolitik auf Dialog mit Russland setzt. Lediglich die Effekte des McCarthyismus passen noch zur heutigen Stimmung. Die Selbstzensur von Politikern, Journalisten, Akademikern und Normalbürgern scheint auch heute um sich zu greifen.

Das Russland-Bashing

Aus Angst, als Sympathisant von Trump oder Putin von der Gesellschaft verstoßen zu werden, nehmen viele Menschen das Russland-Bashing in Kauf. Und sei es noch so plump und auf dem Weg zu einem globalen Frieden oder zumindest zu mehr Stabilität noch so wenig zielführend.

Somit ergibt sich folgendes Dilemma: Die Rebellion des amerikanischen „Deep State“ gegen Trump instrumentalisiert den Konflikt mit Russland. Dadurch lassen sich selbst Menschen vor den Anti-Putin-Karren spannen, die eigentlich zu einer Öffnung gegenüber Russland bereit wären. Dies führt zur Stärkung der Geheimdienste wie CIA und der Falken im demokratischen und republikanischen Lager.

Ziviler Ungehorsam, aber…

Sie wollen die Sanktionspolitik ausweiten und jeden verstummen lassen, der auf Diplomatie und multilaterale Lösungen setzt. Demnach ist es besonders ironisch, dass gerade die bislang einzig sinnvolle außenpolitische Position von Trump von allen politischen Parteien und auf jeder Ebene des amerikanischen Staats angegriffen und bekämpft wird.

Der zivile Ungehorsam und die Protestkultur der USA sind im Kampf gegen Trumps politischen Wahnsinn ein wahrer Hoffungsschimmer. Allerdings sollte der Anti-Trumpismus sich nicht zu einer neuen, hybriden Form des McCarthyismus entwickeln, die weder den USA noch der Weltgemeinschaft dient.