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Rote Warnstreifen

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Trumps chaotische Syrien-Politik und die Wahrheitssuche

Es ist verblüffend, mit welcher Selbstverständlichkeit Politiker, Experten und unbeteiligte Beobachter zu glauben wissen, was in Syrien vorgeht. Dies ist jedoch nicht erst seit Donald Trump und den roten Linien zu beobachten, sondern seit 2013. Bereits damals meinte jeder zu verstehen, wer hinter dem Chemiewaffen-Massaker von Ghuta steckt. Allerdings weiß dies bis heute niemand. Der UN-Bericht blieb vergleichsweise allgemein, den USA konnte seit der Irak-Invasion nicht mehr getraut werden und auch Journalisten wie Seymour Hersh gelang es nicht, ihre Thesen und Quellen offiziell nachzuweisen. Es wurde also zur Glaubensfrage, ob das Assad-Regime oder die Rebellion beziehungsweise eine Terrorgruppe mit internationaler Hilfe rund 1.400 Menschen getötet hatte.

Insofern blieb damals wie heute jedem Beobachter nur eins übrig: mühsam jeden glaubwürdigen Informationsfetzen zu sammeln, einzuordnen und darauf zu hoffen, dass sich ein halbwegs vollständiges Bild ergibt. Dass die Wahrheit auf diese Weise niemals abgebildet werden konnte, war damals glasklar und ist es immer noch. Dass selbst die Wahrheitssuche so zu einer Farce verkommt, scheint jedoch nicht jedem mit Blick auf den Syrien-Konflikt einzuleuchten.

Man kann lange darüber philosophieren, was Trump mit seiner militärischen Intervention bezweckt, allerdings lenkt diese Reflexion von der eigentlichen Frage ab: Auf welche Fakten stützen sich die USA und ihre Alliierten, wenn sie ein stärkeres Eingreifen in Syrien fordern? Besonders haarig wird es, wenn solche Fragen als reaktionärer, linker Anti-Militarismus abgetan werden. Wer diese Fragen ausklammert, ignoriert die Chronologie des syrischen Bürgerkonflikts und damit einhergehend die aktuellen Machtverhältnisse. Es stimmt, dass ein Eingreifen zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs, als noch nicht quasi die gesamte Opposition von Dschihadisten unterwandert war, die heutige Katastrophe hätte lindern, wenn auch nicht verhindern können. Es stimmt jedoch genauso – so zynisch und traurig es klingen mag –, dass Syriens Machthaber Assad die Rebellion innerhalb kürzester Zeit niedergeschlagen hätte. Dies jedoch unter der Bedingung, dass keine Einflussnahme von außen stattgefunden hätte.

All dies ist hypothetisch, doch genau hierauf baut Trump auf, ohne die komplexen Zwänge seines Vorgängers nur ansatzweise zu durchdringen. Das besonders Perfide: Gerade jetzt freuen sich viele, die Trump in jedem Dossier jegliche Sachkenntnis absprechen, darüber, dass er keine Ahnung hat, was in Syrien vor sich geht. Jene, die um jeden Preis den Sturz von Assad forderten, reiten nun auf der Trump-Welle mit. Dass sein Vorgehen rein gar nichts am Leiden der Syrer verändert hat, ist zweitrangig. Es geht Frankreich, Großbritannien, Teilen der syrischen Opposition, Terrororganisationen und dem konservativen US-Establishment nur um eins: Regime Change. Wurde Obama dafür zerrissen, dass er mit seinen roten Linien immerhin mit Russland Syriens C-Waffen-Arsenal zerstören konnte, bleibt die Frage, was Trumps Säbelrasseln bewirken soll. Er hat rote Linien lediglich in rote Warnstreifen verwandelt. Wer glaubt, dass diese Syrien befrieden, unterschätzt Assads Alliierte bei weitem.

dsabharwal@tageblatt.lu