Emmanuel Macron will außerhalb der französischen Elite stehen, die die Politik in Frankreich in Misskredit gebracht und ihr die Glaubwürdigkeit geraubt hat. In Wirklichkeit steht er mittendrin. Nur: Irgendwie merkt es niemand.
Macron, im weiten Frankreich 2016 noch völlig unbekannt, hat innerhalb eines Jahres eine Bewegung ins Leben gerufen: «En Marche!» (In Bewegung/Vorwärts), die derzeit nach eigenen Angaben 260.000 Mitglieder zählt. Der 39-Jährige hat sich nach und nach in den Wahlkampf geschlichen, nachdem er politische Ausrufungszeichen gesetzt hatte.
Der junge Mann aus Amiens
Macron kommt aus der französischen Provinz. Aus der Picardie, die Gegend, in der sich mit den Kathedralen in Laon, in Saint-Quentin, in Amiens die französische Gotik entwickelte. Er geht in Amiens in eine Jesuitenschule, trifft dort in einer Theatergruppe die Französisch-Lehrerin Brigitte Trogneux und verliebt sich in sie. Der junge Macron verlässt Amiens, um den Skandal zu vermeiden, geht nach Paris, macht dort sein Abitur und wird Student in den französischen Elite-Hochschulen.
Während seiner Ausbildung an der ENA, der Elite-Hochschule für Staatsverwaltung, macht Macron ein Praktikum in einer Präfektur. Hier entdeckt ihn der Verleger, Politiker und gemäßigte Sozialist Henry Hermand, der sein Förderer wird. Als der «junge Mann aus Amiens» 2007 die 24 Jahre ältere Lehrerin Brigitte Trogneux heiratet, wird Hermand sein Trauzeuge.
Neun Jahre später stirbt sein Mentor. Aber da ist der Grundstein für die Karriere des Mannes, der in drei Wochen Präsident Frankreichs werden will, längst gelegt und Macron hat die ersten Stufen zur Mitgliedschaft in der französischen Elite schon erklommen.
Macron füllt sein Adressbuch
Als staatlicher Wirtschaftsprüfer («inspecteur des finances») – was als traditioneller Einstieg in das Staats- und Politikwesen für die Besten der ENA gilt – lernt Macron den späteren Generalsekretär unter François Hollande, Jean-Pierre Jouyet, kennen. Jouyet macht den aufstrebenden Funktionär zum Berichterstatter in einer Kommission, die Staatspräsident Nicolas Sarkozy einsetzt.
Die Kommission soll Ideen für das französische Wirtschaftswachstum entwickeln. Macron lernt, woran es Frankreich fehlt. Er lernt auch einflussreiche Menschen kennen, füllt sein Adressbuch, ohne das man in Frankreich keine Karriere macht, mit großen Namen: Jacques Attali, Bürochef des ehemaligen Staatspräsidenten François Mitterrand, und François Villeroy de Galhau, heute Frankreichs Notenbank-Gouverneur.
Macron, als Musiker, Philosoph und Ökonom eine Art heutiger Universalgelehrter, übernimmt seine wirtschaftlichen und politischen Ansichten von diesen Personen. Dazu gehören Die Liberalisierung Frankreichs sowie die Sicherung und Erneuerung des Sozialstaates, dies im Rahmen der europäischen Entwicklung.
Mit diesen Grundgedanken geht Macron 2017 in den Präsidentenwahlkampf, spricht zum Beispiel vor 20.000 begeisterten Menschen am Ostermontag in Paris. Wer Macron auf einer Großkundgebung erlebt hat oder in einem zweistündigen Fernseh-Interview, erhält einen Eindruck davon, wie der «junge Mann» Menschen mit seinen Erklärungen mitreißen und überzeugen kann.
Kommen und gehen
Im Jahr 2012 wird Macron als stellvertretender Generalsekretär unter Jean-Pierre Jouyet (!) für Staatspräsident Francois Hollande Vordenker für die Wirtschaftspolitik. Seine Unabhängigkeit beweist er, als er sich bei einer Regierungsumbildung um den Posten des Wirtschaftsministers bewirbt, Staatspräsident Hollande sich aber für Arnaud Montebourg entscheidet.
Emmanuel Macron kündigt und geht. Das hat etwas gemein mit der Situation 2016, als er seinen Rücktritt von dem endlich erzielten Posten des Wirtschaftsministers erklärt, um Wahlkampf gegen die Regierung und gegen die Eliten zu machen.
Für «ein neues Frankreich»
Macron nimmt aus seiner kurzen Zeit von zwei Jahren als Wirtschaftsminister die Blockaden mit, die er mit seiner Politik erlebt hat, und begründet mit ihnen seinen Rücktritt. Die politischen Apparate, die ihm das Leben schwermachen, sind ihm ein Gräuel und werden im Wahlkampf zum Thema. Er umgibt sich in der Reform-Philosophie mit Fachleuten aus der Umgebung von Dominique Strauss-Kahn, nutzt den sozial-demokratischen Think Tank Terra Nova und den liberalen Think Tank Montaigne.
Macron hat aus allen Stationen seines Lebens Kontakte und Netzwerke mitgenommen. Zur Ausarbeitung seines Programmes hat er sie genutzt und muss sich im Wahlkampf vorhalten lassen, dass er nicht einzuordnen sei mit seinem Programm. Das ist richtig. Aber darum geht es Macron nicht. Er ist ein Problemlöser, der mit einem engen Netzwerk arbeitet. Seine Regierung will er nach dem deutschen System bilden: 15 Minister, mehr nicht, die eigenständig arbeiten sollen. Er selber werde präsidieren und sich nicht in die Kleinigkeiten der Regierungspolitik einmischen, kündigt er an.
Emmanuel Macron, 39 Jahre alt, ist der Kandidat für «ein neues Frankreich». Dass er Spitzenkandidat ist, will er allerdings nicht hören. Nichts sei sicher, man müsse bis zum letzten Augenblick um jede Stimme kämpfen, sagt er.
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