Die Anfänge der Menschheit reichen viel weiter zurück als bislang bekannt. Während die frühesten Funde von modernen Menschen bislang 200 000 Jahre alt waren, beschreibt ein internationales Forscherteam unter deutscher Leitung Fossilien aus Marokko, die 100 000 Jahre älter sind.
Die 300 000 Jahre alten Knochenfragmente geben Einblick in die Entstehung und Entwicklung des Homo sapiens. Das berichten die Wissenschaftler um Jean-Jacques Hublin vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie im Fachblatt «Nature». Experten, die an der Studie nicht beteiligt waren, sprechen von einer Sensation. Als bislang ältester Beleg für den Homo sapiens galten Funde aus Omo Kibish in Äthiopien, die 195 000 Jahre alt sind.
Die neuen Erkenntnisse lassen nun auch umstrittene frühere Fossilien in neuem Licht erscheinen: So rechnen die Forscher ein etwa 260 000 Jahre altes Schädelfragment aus Florisbad in Südafrika nun ebenfalls dem Homo sapiens zu.
Ganz neue Erkenntnisse
«Wir dachten lange Zeit, dass die Wiege der Menschheit vor etwa 200 000 Jahren irgendwo in Ostafrika lag», erläutert Hublin. «Unsere Daten zeigen aber, dass sich Homo sapiens bereits vor etwa 300 000 Jahren über den gesamten Kontinent ausgebreitet hat.» Lange bevor der moderne Mensch Afrika vor etwa 100 000 Jahren verließ, hat er demnach bereits den ganzen Kontinent besiedelt.
In Jebel Irhoud, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Marrakesch, fanden die Forscher insgesamt 22 versteinerte Überreste von Knochen, Schädeln, Kiefern und Zähnen, die von mindestens fünf Menschen stammen. Insbesondere die Schädelfragmente untersuchten Hublin und Kollegen akribisch mit moderner Computertomografie (micro-CT) und statistischen Analysen.
Die Erkenntnisse gehen weit über die zeitliche Einordnung hinaus: Das Gesicht des frühen Homo sapiens war demnach damals schon voll ausgeprägt. Dagegen ist der Hinterkopf deutlich länger und ähnelt eher älteren Vertretern der Gattung Homo. «Das bedeutet, dass sich die Form der Gesichtsknochen bereits zu Beginn der Evolution unserer Art entwickelt hat», folgert Ko-Autor Philipp Gunz. Dagegen habe sich die Form des Gehirns und womöglich auch seine Funktion erst innerhalb der späteren Entwicklung verändert.
Datierungsstudien
Bei den Grabungen fanden die Forscher auch reichlich Tierknochen, etwa von Gazellen, und Werkzeuge, die bei der Datierung der Funde halfen. «In Jebel Irhoud hatten wir Glück, dass so viele Steinwerkzeuge erhitzt worden waren», erklärt Hublins MPI-Kollege Daniel Richter, Erstautor einer ebenfalls in «Nature» veröffentlichten Datierungsstudie. «Deshalb konnten wir die Thermolumineszenzmethode anwenden, um die Fundschichten genau zu datieren.» Dieses Verfahren bestimmt über den Zerfall natürlicher radioaktiver Elemente den Zeitraum seit dem Erhitzen.
In einem «Nature»-Kommentar schreiben Chris Stringer und Julia Galway-Witham vom Natural History Museum in London: «Wir stimmen mit Hublin und Kollegen überein, dass die Jebel-Irhoud-Fossilien nun die am besten datierten Beweise für eine frühe «vormoderne» Phase in der Evolution des Homo sapiens darstellen.» Allerdings gebe es zu wenige Fossilien, um nachzuweisen, dass sich der moderne Mensch tatsächlich schon vor über 250 000 Jahren in ganz Afrika verbreitet habe.
Viele Menschenarten
Ralf Schmitz von der Universität Bonn, der nicht an der Untersuchung beteiligt war, hält die Entdeckung für eine Sensation. An der Datierung der Funde habe er keine Zweifel, Hublin und seine Kollegen seien sehr akribisch vorgegangen. Faysal Bibi vom Museum für Naturkunde in Berlin betont, die Studie schließe eine Lücke in der Menschheitsgeschichte.
Der Fund zeigt ferner, dass zur Zeit des Homo sapiens mehr andere Menschenarten lebten als bislang bekannt. Neben Neandertaler und dem in Sibirien verbreiteten Denisova-Mensch zählt dazu etwa der Homo naledi in Afrika. Vor einem Monat hatten Forscher Fossilien dieser in Südafrika entdeckten Menschenart auf ein Alter von etwa 250 000 bis 300 000 Jahre datiert.
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