Emmanuel Macron scheint derzeit alles zu gelingen. In seinen ersten Wochen im Élyséepalast hat der junge französische Staatschef eine gute Figur gemacht, nicht zuletzt auf dem internationalen Parkett. Nun könnte die Parlamentswahl zur Krönung seines Senkrechtstarts an die Macht werden. Vor dem ersten Wahlgang am Sonntag halten Umfragen eine geradezu erdrückende Mehrheit des Macron-Lagers in der Nationalversammlung für möglich.
Ermittlungen gegen Macrons Partner Modem
Wenige Tage vor der Parlamentswahl in Frankreich hat die Staatsanwaltschaft Paris vorläufige Ermittlungen gegen den Koalitionspartner von Präsident Emmanuel Macron aufgenommen. Sie richten sich gegen die gemäßigte Partei Modem wegen des Vorwurfs, sie habe öffentliche Mittel zweckentfremdet. Für Macron, der für eine saubere Politik eintritt, und seine Partei La République en marche (LREM) könnte sich das in der ersten Wahl-Runde am Sonntag negativ auswirken. (Reuters)
Damit könnte die Abstimmung das Abrisswerk fortführen, das Macron am traditionellen Parteiensystem Frankreichs begonnen hat. Und den Weg frei machen für sein Reformprogramm, mit dem der sozialliberale Staatschef Frankreichs Wirtschaft wieder Schwung verschaffen will.
«La République En Marche!»
In allen Umfragen lagen Macrons Partei «La République En Marche!» und die mit ihr verbündete MoDem-Partei deutlich vorn. Institute haben berechnet, dass sie damit deutlich über 300, womöglich sogar mehr als 400 der 577 Abgeordnetensitze erobern könnten – absolute Mehrheit. Das wäre eine Sensation für die Formation in der politischen Mitte, die Macron erst vor gut einem Jahr aus dem Boden gestampft hat. Allerdings macht das Wahlsystem mit einem reinen Mehrheitswahlrecht Prognosen der Sitzverteilung knifflig.
Gegner malen angesichts des erwarteten Durchmarschs schon das Schreckensbild einer «Einheitspartei» an die Wand. Sozialisten-Chef Jean-Christophe Cambadélis warnt sogar vor «Absolutismus», das Parlament könne zu einer «Absegnungskammer» werden. Die Partei von Macrons Vorgänger François Hollande muss mit einem Desaster rechnen.
Aber auch die konservativen Republikaner, die sich vor einigen Wochen noch Hoffnungen auf eine Parlamentsmehrheit machten, sind in Bedrängnis. «Das ist schwierig, weil uns der Wind ins Gesicht weht», räumt ihr Frontmann François Baroins ein. Macron hat in einem geschickten Schachzug bürgerliche Politiker an Schlüsselstellen seiner Regierung gesetzt, vorneweg Premierminister Edouard Philippe.
«Le Canard Enchaîné»
Nicht einmal die Vorwürfe gegen Macrons Wohnungsbauminister Richard Ferrand haben dem Lager des Präsidenten bislang wirklich geschadet. Der Macron-Vertraute soll in seiner Zeit als Geschäftsführer einer Krankenversicherung bei einem Immobiliengeschäft seine Lebensgefährtin bevorzugt haben. Bislang gibt es lediglich Vorermittlungen. Trotzdem ist die Sache pikant, weil Macron es sich auf die Fahne geschrieben hat, anrüchigem Verhalten im öffentlichen Leben ein Ende zu setzen. Eine Reaktion auf die Verwandtenaffäre um den konservativen Präsidentschaftskandidaten François Fillon.
Der Staatschef hat sich zum Fall Ferrand bislang sehr zurückgehalten. Ohnehin ist seine Kommunikation extrem kontrolliert und wohldurchdacht. Vorläufiger Höhepunkt: Macrons TV-Ansprache nach der Abkehr der USA vom Pariser Klimaabkommen. Mit dem Slogan «Make our planet great again» – eine Anspielung auf die Parole von US-Präsident Donald Trump, Amerika «wieder großartig» zu machen – inszenierte er sich als Vorkämpfer für den Klimaschutz. Ein Renner im Internet.
Schon zuvor hatten Macrons erste Treffen mit Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin für Aufsehen gesorgt: der kalkuliert feste Händedruck mit dem Amerikaner in Brüssel, die Propaganda-Standpauke für kremlnahe Medien beim Besuch Putins im Schloss von Versailles. Der Franzose feilt an einem Image als starker Staatsmann.
«Das aufsässige Frankreich»
Das kommt in Frankreich gut an – auch wenn die Rechtspopulistin Marine Le Pen bereits stänkerte, Macron solle «auf den Boden zurückkommen». Laut der Enthüllungszeitschrift «Le Canard Enchaîné» soll sich sogar Ex-Präsident Nicolas Sarkozy anerkennend geäußert haben: «Macron ist wie ich, nur besser», habe er gescherzt.
Wichtig ist auch, wie stark die Kräfte links- und rechtsaußen im Parlament werden. Immerhin hatte die erste Runde der Präsidentenwahl ein viergeteiltes Land gezeigt: Macron in Führung, aber jeweils nur wenige Punkte dahinter die Rechtspopulistin Le Pen, der Konservative Fillon und der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon.
Le Pens Front National (FN) ist nach ihrer Niederlage gegen Macron angeschlagen. Nach der Wahl könnte es in der Partei knallen. Zumal sie bangen muss, ob sie wie erhofft eine Fraktion erringt – dafür braucht es 15 Abgeordnete. Das Mehrheitswahlrecht macht es kleinen Parteien schwer: In die Nationalversammlung kommt nur, wer seinen Wahlkreis gewinnt. Die FN erzielte 2012 zwar 13,6 Prozent im ersten Wahlgang, gewann aber nur zwei Mandate. Auch Mélenchon könnte es schwer haben mit seinem Plan, seine Bewegung «Das aufsässige Frankreich» zu einer starken Stimme der linken Opposition zu machen.
In den meisten Wahlkreisen dürfte die Entscheidung erst in einer Stichwahl am 18. Juni fallen. Dann ist klar, ob Macron tatsächlich freie Fahrt hat. Geling ihm die absolute Mehrheit, kann allenfalls der von der bürgerlichen Rechten dominierte Senat die Gesetzespläne des Staatschefs bremsen. Bei der brisanten Lockerung des Arbeitsrechts, die der Staatschef nach der Wahl im Schnelldurchlauf durchsetzen will, könnte der Widerstand aber von ganz woanders kommen – wenn Gewerkschaften auf die Straße gehen.
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