Jean-Claude Juncker nannte Helmut Kohl einmal «den größten Europäer, den ich im Laufe meines Lebens kennenlernen durfte». Nach Kohls Tod am Freitag war der EU-Kommissionspräsident einer der ersten, der öffentlich um den Altkanzler trauerte. Jetzt will er dem Verstorbenen eine Ehre zuteil werden lassen, die es so noch für niemanden gab: einen europäischen Staatsakt.
Die EU ist kein Staat. Der Begriff Staatsakt ist deshalb eigentlich schief. Eine solche Trauerzeremonie im Namen der Europäischen Union, wie sie nun binnen zwei Wochen im Europaparlament in Straßburg stattfinden soll, ist in den europäischen Verträgen auch nirgends vorgesehen. Es war Junckers ganz persönlicher Vorschlag zur Würdigung eines Mannes, den er auch als engen Freund und Förderer bezeichnet.
Die Begründung liegt für Juncker auf der Hand. «Helmut Kohl hat das europäische Haus mit Leben erfüllt», schrieb er am Freitag zu Kohls Tod. «Ohne Helmut Kohl gäbe es den Euro nicht.» Der CDU-Mann war auch einer von nur drei europäischen Ehrenbürgern – neben dem europäischen Gründervater Jean Monnet und dem früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Auch Kohl selbst habe sich eine solche Ehrung jenseits der nationalen Grenzen gewünscht, heißt es.
Der Kommissionspräsident wolle sich selbst um die Organisation kümmern und habe auch Kontakt mit der Familie Kohl, hieß es am Wochenende aus Junckers Umfeld. Die Witwe Maike Kohl-Richter soll den Vorschlag nach dpa-Informationen wohlwollend betrachten.
Trauerzeremonie auch in Deutschland
Aber auch in Deutschland dürfte es wohl eine größere Trauerzeremonie geben. Die «Bild am Sonntag» berichtet, direkt nach den Feierlichkeiten in Straßburg sei in Kohls Heimat Rheinland-Pfalz eine Totenmesse geplant – im Speyerer Dom, einem symbolträchtigen Ort in Kohls Leben. Dort suchte er als Junge im Zweiten Weltkrieg Schutz vor Fliegerangriffen, dorthin führte er später als Kanzler zahlreiche Staats- und Regierungschefs. Und dort war 2001 die Totenmesse für seine Frau Hannelore, die sich das Leben genommen hatte.
Nach Angaben des Blatts soll der Sarg mit Kohls Leichnam mit dem Schiff ein Stück weit auf dem Rhein zum Speyerer Dom gebracht werden – ähnlich wie 1967 beim Trauerstaatsakt für den früheren Kanzler Konrad Adenauer. Damals entstanden monumentale Bilder.
Die Bundesregierung und das Bundespräsidialamt hielten sich zunächst bedeckt zu alldem. Das Wochenende über liefen Gespräche zwischen Berlin und Brüssel, mit der Familie und Vertrauten von Kohl. Diese sind weit gediehen, gehen zu Wochenbeginn aber weiter. Erst wenn die Abstimmung mit Kohls Witwe komplett abgeschlossen ist, dürfte die Bundesregierung offiziell bekanntgeben, was genau geplant ist.
Gerade weil es so etwas noch nicht vorher gab, ist der Klärungsbedarf groß. Staatsbegräbnisse und Trauerstaatsakte in Deutschland folgen detaillierten protokollarischen Vorgaben. Der Bundespräsident muss einen Staatsakt anordnen, um die Organisation kümmert sich meist das Bundesinnenministerium. Aber wie ist es bei einem Trauerakt auf EU-Ebene? Wer ordnet da an, wer veranstaltet, wer organisiert? Und ersetzt eine solche Veranstaltung einen Staatsakt in Deutschland?
Organisatorische Fragen
Noch dazu kommen viele organisatorische Fragen: Sollte der Sarg Kohls in Straßburg aufgebahrt werden, wie bei Staatsakten üblich, wie wird er dann schnell genug zur Trauerfeier nach Deutschland transportiert? Und wie schaffen es Trauergäste von einem Ort zum anderen, wenn sie an beiden Zeremonien teilnehmen wollen? Trauerfeierlichkeiten dieser Dimension – an einem Tag, an zwei Orten – das ist ein logistischer Kraftakt. Sicherheitsfragen kommen noch hinzu.
Und wer könnte die Reden halten? Neben aktuellen EU-Verantwortlichen wie Juncker sind auch andere europäische Größen im Gespräch, wie Jacques Delors, oder frühere Weggefährten Kohls, etwa Ex-Kreml-Chef Michail Gorbatschow und Ex-US-Präsident George Bush senior, mit denen Kohl die Deutsche Einheit ausgehandelt hatte. Oder der frühere US-Präsident Bill Clinton, zu dem Kohl ebenfalls enge Kontakte hatte.
Und Merkel? Nach dpa-Informationen ist offen, ob die Kanzlerin bei einer Trauerfeier auf EU-Ebene reden würde. Überrascht wurde sie von der Idee eines europäischen Staatsaktes jedenfalls nicht. Das Verhältnis von Angela Merkel zu Helmut Kohl war aber nicht einfach. Kohl nannte sie lange «mein Mädchen», platzierte sie auf mehreren Ministerposten. Doch später sagte sie sich von ihm los. Im Dezember 1999 sorgte Merkel als CDU-Generalsekretärin mit einer öffentlichen Distanzierung in Kohls Spendenaffäre wesentlich für seinen Sturz.
Viel Abstimmung bedarf auch der Termin für eine europäische Trauerzeremonie. Als höchst unwahrscheinlich gilt, dass es dazu noch in dieser Woche kommt. Am Donnerstag und Freitag kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zwar zu einem Gipfel in Brüssel zusammen – dort geht es aber eher um Alltagsthemen wie die Folgen des Brexit oder die Migrationskrise. Gut möglich, dass es auf einen Termin in der letzten Juni-Woche hinausläuft. Bislang ist Kohls Leichnam noch in seiner Heimat aufgebahrt. In seinem Zuhause in Ludwigshafen-Oggersheim.
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