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Niederlage und Sieg

Niederlage und Sieg
(Michel Spingler/dpa)

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Ihren Erwartungen entsprechen Frankreichs Rechtsradikale seit geraumer Zeit nicht mehr. Nach außen stellen sie jedoch jede Niederlage als einen Sieg dar.

„Wir sind zwar nur acht, aber wir wiegen so viel wie 80“, sagte die Vorsitzende der französischen Rechtsradikalen, Marine Le Pen, am Montag nach einer erneuten Wahlschlappe. Die acht Abgeordneten des Front national sind vier Mal mehr als die beiden Abgeordneten der vergangenen Legislaturperiode. Aber das lauthals verkündete Ziel der Bewegung lautete, mit einer Fraktion in die Pariser Nationalversammlung einzuziehen. Das wären 15 Abgeordnete gewesen, also beinahe doppelt so viel. Marine Le Pen verkaufte die Niederlage dennoch als Sieg. Angesichts des Wahlsystems – zwei Wahlgänge, der Sieger ist am Ende der mit absoluter Mehrheit – sei es geradezu großartig, mit acht Abgeordneten in das Parlament einzuziehen.

Gilbert Collard, ehemaliger Star-Rechtsanwalt und mit 138 Stimmen Vorsprung gerade wiedergewählt, sah das noch am Wahlabend völlig anders. Man habe einen ungeheuren Schlag auf den Kopf bekommen, wütete er vor den Fernsehkameras. Das könne man nun nicht mehr hinnehmen. Es müsse Klartext geredet werden.
Collard sprach aus, was bisher bei den Rechtsradikalen nur hinter den Kulissen diskutiert worden war. Die Strategie sei falsch und die Bewegung arbeite mit den falschen Themen. Das heißt bei den Präsidentschaftswahlen sei es bereits falsch gewesen, den Verzicht auf den Euro zu propagieren, wo doch die Franzosen den Euro behalten wollten. Die Vorstellung der Präsidentin sei eine Katastrophe gewesen, heißt es parteiintern.

Der «FN» als Oppositionspartei

Marine Le Pen wusste, dass sie angeschlagen in die Wahl zur Nationalversammlung ging. Sie musste einen Erfolg erringen, der ihr mit ihrer persönlichen Wahl auch gelang. Vor den Journalisten agierte sie am Montag daher so, wie sie es nach Niederlagen immer tut. Sie stellte die Wahl der acht Abgeordneten als einen immensen Erfolg dar und bezeichnete den «Front national» als die Oppositionspartei des neu gewählten Parlamentes. Ihre Forderung lautet, nun das Verhältniswahlrecht einzuführen, damit ihre Partei mit 80 Abgeordneten in das Parlament einziehen könne. Dabei tut sie so, als ob der Front national diese Forderung erfunden hätte. Tatsächlich gehört das Verhältniswahlrecht zum politischen Programm des Staatspräsidenten. Der will mit seiner Einführung aber gleichzeitig die Zahl der Abgeordneten von jetzt 577 auf 400 verkleinern. Dies ist nur ein wenig mehr als die präsidiale Mehrheit mit ihren 350 Sitzen momentan hat.

Schwierigkeiten hat die Vorsitzende vor allem intern. Ihr Chefideologe Florian Philippot, der sie dazu verleitet hat, sich aus dem Euro zu verabschieden, der – wie einst der Wirtschafts- und Finanzminister Ludwig XIV, Colbert – nur im Land produzieren und exportieren will und Importe mit Sondersteuern belegen will, hat in Forbach erneut eine herbe Niederlage erlitten. Monsieur TGV, wie er genannt wird, weil er immer aus Paris anreist, wenn etwas los ist, sich ansonsten um seinen Wahlkreis aber nicht kümmert, ist zum Sprengstoff in der Partei geworden. Philippot hat seine eigene Bewegung innerhalb der Partei gegründet. Mit seinen Patrioten will er dafür sorgen, dass sich der Front national nicht von seinen Prinzipien löst.

Offiziell toleriert Marine Le Pen dieses Vorgehen. Am Montag aber wurde erstmals deutlich, dass es in der Partei brodelt. Es habe sie genervt, gab sie zu, dass diese Themen zwischen zwei Wahlgängen zum Vergnügen der Presse diskutiert wurden. Was den Vorsitzenden nervt, ist tiefgehender. Anders als ihr Vater, der sich nur für die Präsidentenwahl interessierte und die Macht nicht wirklich wollte, strebt seine Tochter die Macht an.

Zukunftsfähig werden

Sie hat in den vergangenen Jahren den Einfluss des Front national in ganz Frankreich ausgebaut. Sie stellt Bürgermeister und festigt ihre Macht in den Kommunen von Lothringen über den Südwesten bis in die Bretagne hinein. Sie ist in Departementalräten vertreten, wie auch in den Regionalräten. In der Endphase der Präsidentschaft von Staatspräsident Hollande bestimmte sie mit der Fremdenfeindlichkeit, mit dem Anti-Islamismus, mit ihren Ideen von einer französischen Souveränität dermaßen die französische Politik, dass weder Konservative noch Sozialisten bewegungsfähig waren. Der Erfolg des gerade gewählten Staatspräsidenten Emmanuel Macron liegt auch darin, dass er sich deutlich und selbstbewusst gegen diese Ideen stellte.

Allerdings gab es ein unsichtbares Glasdach, gegen das der Front national immer wieder stieß. Es hieß Rechtsradakilität: Die Partei war und ist extrem. Marion Marechal Le Pen, Nichte der Parteivorsitzenden, hatte das erkannt und immer wieder versucht, Kontakte zu rechten Mitgliedern der Konservativen zu knüpfen. Sie hatte erkannt, dass der Front national es alleine nicht schaffen würde, vielmehr Verbündete brauchte. Marion Marechal Le Pen vertrat die Linie, dass der Front national eine klare rechte Partei sein und im Zweifel partnerfähig sein müsse, weil er alleine nie an die Macht kommen würde.

Die junge Frau, der es als erste vor fünf Jahren gelang, ein Mandat in der Nationalversammlung zu erringen, hat zwischenzeitlich ihr Mandat niedergelegt, nicht mehr kandidiert und hat ihre Parteiämter niedergelegt. Die Mutter eines kleinen Kindes, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hatte, wolle sich nun mehr um ihre Familie kümmern, hieß es offiziell. Inoffiziell hieß es in der Partei, dass sie es aufgegeben hätte, zu versuchen, den Front national zukunftsfähig zu machen. Die Aufgabe der Enkelin des Parteigründers, der sie aufgebracht als «Fahnenflüchtige» bezeichnete, war ein Schlag für die Partei.

Neuer Namen und neue Richtung

Immerhin hat die Vorsitzende mittlerweile selber erkannt, dass der «FN» sich verändern muss. Getreu des Mottos aber, dass man von Schwierigkeiten mit Siegesmeldungen ablenkt, verkündete sie am Montag, dass die acht Abgeordneten der Beweis dafür seien, dass es das berühmte Glasdach für die Partei nicht gäbe.

Und dennoch wird in der Partei darüber diskutiert, dass man möglicherweise den Namen ändern müsse, weg müsse von den beiden Buchstaben «FN», dass man möglicherweise die neue große konservative Partei in Frankreich werden müsse, die dann womöglich auch die bisherigen Konservativen aufsaugen könne.

Diskussionen sind vorprogrammiert

Marine Le Pen gibt das so in der Öffentlichkeit nicht zu. Der Front national werde Ende Juli zunächst ein Seminar abhalten, in dem man Bilanz ziehen und nachdenken werde. Es könnten weitere Seminare hinzukommen. Frei nach dem Motto, dass man schmutzige Wäsche immer noch in der Familie wäscht.

Sicher ist, dass es Auseinandersetzungen geben wird. Der Front national hat das schon einmal im Jahr 1998 erlebt, als der Abweichler Bruno Megret die Partei verließ und von der Bildfläche verschwand. Florian Philippot droht eine ähnliche Abrechnung. Denn jemand, der mit gerade 138 Stimmen Vorsprung wieder in die Nationalversammlung einzieht, will nichts auf sich beruhen lassen. Gilbert Collard will die offene Diskussion. Marine Le Pen wird Mühe haben, die Partei zu beherrschen. Denn sie weiß, dass das schlechte Abschneiden, das sie als Sieg verkauft, nicht zuletzt auf ihre schlechte Performance zurückgeht. Zu häufig hat sie Ziele verkündet, die nicht erreicht wurden.