Headlines

E Bléck duerch d’Lëns Luxemburger Kollaborateure: Wilhelm Diehl , ehemaliger Kreisleiter von Esch/Alzette

E Bléck duerch d’Lëns  / Luxemburger Kollaborateure: Wilhelm Diehl , ehemaliger Kreisleiter von Esch/Alzette
Wilhelm Diehl bei einer Rede in der Gewerbeschule in Esch/Alzette Foto: MNRDH 

Ab September 1944 beginnt die luxemburgische Justiz, Kollaborateure festzunehmen und vor Gericht zu bringen. Dabei werden auch geflohene NS-Beamte und Kollaborateure, die im Deutschen Reich untergetaucht waren, aufgespürt. Unter den Gefassten befindet sich der ehemalige Kreisleiter von Esch/Alzette, Wilhelm Diehl.

Politische Karriere

Geboren am 20. Dezember 1889 im deutschen Ausweiler, wird Wilhelm Diehl im Ersten Weltkrieg schon im Alter von 25 Jahren aufgrund seiner Verdienste zum Leutnant befördert. Nach dem Krieg beginnt er eine Lehrerausbildung und arbeitet ab 1921 als Lehrer in Trier. Nebenbei ist er innerhalb des „Deutschen Lehrervereins“ aktiv. Am 1. November 1932 tritt er – noch vor dem Machtantritt Adolf Hitlers – der NSDAP bei. Er ist fest davon überzeugt, dass die Nationalsozialisten die Zukunft Deutschlands sichern werden.

Diehl steigt schnell in leitende bildungspolitische Ämter auf und wird 1933 innerhalb der Trierer Kreisleitung Vorsitzender des NS-Lehrerbundes sowie Kreisleiter für Erziehung. 1934 wird er zum Regierungs- und Schulrat in Trier ernannt. Ab 1938 baut er im neu annektierten Sudetenland (heute Tschechien) das Schulsystem nach nationalsozialistischem Vorbild auf. Mit dem deutschen Überfall auf Polen meldet sich der überzeugte Nationalsozialist freiwillig zur Wehrmacht, wird aber wegen seines Alters abgewiesen. Er kehrt nach Trier zurück und wird überraschenderweise im April 1940 zum neuen Kreisleiter in Bernkastel ernannt.

Die Serie

In der Rubrik „E Bléck duerch d’Lëns“ liefern die Historiker*innen André Marques, Julie Depotter und Jérôme Courtoy einen facettenreichen Blick auf verschiedene zeitgeschichtliche Themen.

Karriere im besetzten Luxemburg

Unter der Führung von Gauleiter Gustav Simon soll das besetzte Luxemburg wieder „Heim ins Reich“ geführt werden. Am 26. August 1940 wird Diehl wegen seiner Erfahrung nach Luxemburg als Referent für das Volksschulwesen versetzt, wo er das Schulsystem eindeutschen soll. Da Diehl in Luxemburg mit zahlreichen alten Bekannten aus Trier arbeitet, hegt er keine Bedenken gegen seine Versetzung. Am 1. Oktober 1940 wird Diehl zusätzlich zum Kreisleiter in Esch/Alzette ernannt. Auf administrativer Ebene wurden die luxemburgischen Distrikte ab dem 14. November 1940 in die drei Landkreise (Esch, Diekirch und Grevenmacher) und einen Stadtkreis Luxemburg-Stadt umorganisiert.

Die Historikerin Julie Depotter
Die Historikerin Julie Depotter Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Während der Führertagung der Volksdeutschen Bewegung (VdB) am 10. Dezember 1940 in Esch verkündet Diehl vor 1.500 anwesenden VdB-Mitgliedern seine Ansichten bezüglich des Nationalsozialismus in Luxemburg. Nicht mit Gewalt behauptet er vorgehen zu wollen, sondern er sehe die Aufgabe der VdB darin, „die Herzen […] der Luxemburger Volksgenossen zu erobern“, sodass diese sich mit „innerer Bereitschaft“ zum Deutschen Vaterland bekennen würden.

Im Juni 1941 wird er vom Schuldienst beurlaubt, um fortan ausschließlich als Kreisleiter zu agieren. In dieser Funktion repräsentiert Diehl bei zahlreichen VdB- und NS-Versammlungen, Heldengedenkfeiern und Soldatenbesuchen sowie Aufmärschen unterschiedlicher Art die NS-Verwaltung im Escher Umkreis. Trotz seiner Ankündigungen einer gewaltfreien Durchsetzung der NS-Politik ordnet er zahlreiche Verhaftungen, Deportationen in Konzentrationslager und Beamtenabsetzungen, sowie Geschäftsschließungen und Beschlagnahmungen an.

Diehls Rolle während der Streikbewegungen 1942

Als Reaktion auf die eingeführte Wehrpflicht der Jahrgänge 1920 bis 1924 kommt es zwischen August und September 1942 landesweit zu Streikaktionen. So auch im Arbed-Werk von Esch-Schifflingen, wo die Arbeiter der Spätschicht um 18.02 Uhr ihre Arbeit niederlegen. Kreisleiter Wilhelm Diehl reagiert mit Einschüchterungen und droht dem Werksdirektor Mathias Koener und den Ingenieuren des Werks mit Verhaftungen. Er lässt die Werkstore schließen, um Fluchtmöglichkeiten zu verhindern, und positioniert Autos mit Lautsprechern vor Ort, um den Streikenden mit Konsequenzen zu drohen. Neben Verhaftungen, Deportationen in Konzentrationslager und Erschießungen ist Diehl als führende Person an der Auswahl „deutschfeindlicher“ Familien zur Umsiedlung beteiligt.

Auch Schüler*innen, die sich während dieser Tage am Streik beteiligten, u. a. indem sie den Hitlergruß oder den Schulunterricht komplett verweigerten, wurden auf Diehls Anordnung verfolgt. So lässt er u. a. eine Liste der Schüler*innen aufstellen, die nicht am Unterricht teilgenommen haben. Die Konsequenzen für die Teilnehmer*innen sind hart: die Jungen werden zur Umerziehung in ein Erziehungslager nach Burg Stahleck, die Mädchen nach Adenau gebracht.

Der Kreisleiterprozess

Mit dem Anrücken der US-amerikanischen Truppen im September 1944 und der Angst vor bevorstehenden Konsequenzen setzen sich zahlreiche NS-Beamte und luxemburgische Kollaborateure nach Deutschland ab. Diehl wird 1945 in Wehrmachtsuniform in Österreich aufgegriffen und befindet sich ab 7. Mai 1945 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Er wird nach Luxemburg überstellt und am 25. September 1946 ins Grundgefängnis eingeliefert.

Am 5. Januar 1950 beginnt der Prozess gegen die Kreisleiter, darunter auch gegen Wilhelm Diehl. Er wird für die Umsiedlung von 369 Familien sowie für zahlreiche Verhaftungen, Amtsenthebungen, Deportationen in Konzentrationslager und die Schließung und Beschlagnahmung von Geschäften als schuldig befunden. Am 22. Juni 1950 wird er vom Gerichtshof für Kriegsverbrechen in Luxemburg dafür zu 17 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, alsbald jedoch nach Deutschland ausgewiesen. Das dortige Verfahren gegen ihn wird 1952 von der Rechtsmittelabteilung der Spruchkammer eingestellt. Diehl verstirbt unbehelligt am 1. Dezember 1965 in Trier.