Wobei schon Klauseners Fleißarbeit, die man geradezu monumental nennen muss, für das Buchprojekt einnimmt! Jede Opernaufführung, jeder Auftritt, jede Konzertreise wird akribisch aufgelistet und darüber hinaus mit zahllosen Anmerkungen des Autors versehen sowie mit Zitaten aus Premierenkritiken, Zeitungsartikeln, Interviews etc. in einer Weise angereichert, die selbst für ausgemachte Callas-Kenner kaum etwas zu wünschen übrig lassen dürfte. In einem einführenden Text fragt der Musikkritiker Jürgen Kesting, weshalb „Maria Callas zur größten Sängerin wurde, zur Primadonna assoluta, zur Divina“ und liefert auch einen Erklärungsansatz, der bis zum Absturz der Callas „in die Berühmtheit“ reicht.
Und genau da wäre ein interessanter Punkt zu setzen. Denn es ist kein Zufall, dass die Callas zur gleichen Zeit wie Frank Sinatra weltberühmt wurde, also Ende der 1940er Jahre und zu Beginn der ersten Anzeichen jener Popkultur ihren Durchbruch erlebte, die uns heute noch begleitet, und als dessen frühester Protagonist Sinatra gelten kann – zumindest, wenn wir kreischende Mädchenhorden als Beleg für diese neue Form von Starruhm annehmen wollen. Einen weiteren ergiebigen Ansatz für Überlegungen zum Zusammenhang von Pop, Callas und Oper bietet Kestings folgende Feststellung: „Mit Maria Callas betrat eine Sängerin die Bühne, die den Weg in die Zukunft in der Vergangenheit fand – in der Rückkehr zur klassischen und romantischen italienischen Oper, aber durch die Verbindung einer Technik, mit der sie das Repertoire beherrschte, mit singulärer Darstellungskunst.“
Fakten und Fakes
Dass die Callas in Sachen Nachruhm Renata Tebaldi, ihre seinerzeit größte Konkurrentin, hinter sich gelassen hat, mag mit etwas im Zusammenhang stehen, das Kersting „eine Kehrrichtsammlung von Fakten und Fakes“ nennt, die den Großteil der Callas-Biografien weniger auszeichnet wie kaum brauchbar macht. Es geht hier um die Legendenbildung, um die Übersteigerung der in der Opernwelt traditionell vorhandenen, teils manischen Verehrung von Interpreten, Komponisten, auch Dirigenten. Im popkulturellen Diskurs, in dem die Callas seit den 1950ern mit ihren skandalumwitterten Auftritten und tragischen Liebschaften zur festen Größe wurde, ist dieses opernhafte Fantum elementarer Bestandteil und gleichzeitig großes Ärgernis. Denn mediale Dauerpräsenz, das ständige Hervorbringen von Sensationsmeldungen (passend zum neuesten Produkt, das verkauft werden soll), setzt eine Maschinerie in Gang, in der es keine Wahrheit mehr zu entdecken gibt inmitten sich immer weiter spiegelnder Oberflächen.
Die Callas selber hat sehr unter diesem Phänomen gelitten. So beklagt sie sich in einem Interview aus dem Jahr 1961, das Klausener nicht weiter zuordnen kann, darüber, wie ihr übler Ruf als launenhafte Diva auf einer falschen Sichtweise beruhe, was ihren Beruf und ihren Status betrifft. Offenbar musste sie ihr „künstlerisches Credo“ gegenüber einen Opernbetrieb verteidigen, der mehr und mehr in das Regelwerk der Popindustrie hineinrutschte: Immer schneller die Anlieferung, immer kürzer die Verweildauer, seien es Poplieder in den Hitparaden, seien es Opernaufführungen selbst in den renommiertesten Opernhäusern – tendenziell wurde alles zum gleichen Geschäft. Dagegen setzte sich die Sängerin erfolgreich zur Wehr, aber „es waren traurige Siege, vor allem ob der Notwendigkeit, überhaupt zu kämpfen“, meinte sie resignativ. Womit wir bei einem letzten Punkt wären, der Trauer nämlich, welche den Ruhm der Maria Callas bis heute wie ein melancholischer Schleier umweht und als Faszinosum am Leben hält.
Info
Helge Klausener: „Maria Callas. Tag für Tag – Jahr für Jahr“, Hollitzer Verlag, Wien 2023, 480 S., 45,00 €
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