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Kino„The Boy and the Heron“ von Hayao Miyazaki: Hayao und der Reihergesang

Kino / „The Boy and the Heron“ von Hayao Miyazaki: Hayao und der Reihergesang
Mit „The Boy and the Heron“ regt Miyazaki zum Nachdenken über Leben und Tod an Foto: Studio Ghibli

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Hayao Miyazakis Versuche, in den Ruhestand einzutreten, stehen ganz oben auf der Liste der Studio-Ghibli-Bingokarten. Seit Mitte der 1990er kündigte der Regisseur, Mangaka und Gründer des bekannten Zeichentrickfilmstudios immer wieder an, dass er die Pinsel und Stifte ein für allemal weglegen würde. Wer vor zehn Jahren „The Wind Rises“ gesehen hat, war fest davon überzeugt, dass der Rückzug endgültig sein würde, so elegisch kam der Schwanengesang des japanischen Meisters daher. Nun machte ihm ein Fischreiher einen Strich durch die Rechnung.

Zu sehen in den Kinepolis-Multiplexkinos, im Ciné Utopia und den Regionalkinos von Cinextdoor.

Hayao Miyazakis Versuche, in den Ruhestand einzutreten, stehen ganz oben auf der Liste der Studio-Ghibli-Bingokarten. Seit Mitte der 1990er kündigte der Regisseur, Mangaka und Gründer des bekannten Zeichentrickfilmstudios immer wieder an, dass er die Pinsel und Stifte ein für allemal weglegen würde. Wer vor zehn Jahren „The Wind Rises“ gesehen hat, war fest davon überzeugt, dass der Rückzug endgültig sein würde, so elegisch kam der Schwanengesang des japanischen Meisters daher. Nun machte ihm ein Fischreiher einen Strich durch die Rechnung.

„The Boy and the Heron“ beginnt in etwa da, wo Miyazakis Vorgängerfilm begonnen hat: im Japan während des Zweiten Weltkrieges. Zu Beginn kommt die Mutter des jungen Mahito in den Flammen eines Luftangriffs auf das Krankenhaus, in dem sie behandelt wurde, ums Leben. Nach wenigen Augenblicken sind Parallelen zum Leben des Regisseurs gebildet. Er selbst wurde Anfang der 1940er geboren und seine an Tuberkulose erkrankte Mutter verbrachte viel Zeit in Kliniken.

Der Vater zieht mit Mahito aufs Land zu Tante Natsuko – der jüngeren Schwester der Mutter –, die die neue Stiefmutter des Jungen wird. Außerdem erwartet sie das erste gemeinsame Kind mit dem verwitweten Vater. Mahito, der noch mit dem Verlust seiner Mutter zu kämpfen hat, geht auf Distanz. Doch sein solitärer Frieden auf dem Land wird vom titelgebenden Reiher gestört: einem aufdringlichen Vogel, der hinter seinem eleganten Schnabel eine vielleicht nicht ganz so friedliche Fratze versteckt. Dieser lockt Mahito in einen mysteriösen Turm, in dem der Junge seiner Mutter wieder begegnen kann.

Es ist eigentlich unerheblich, ob und wie oft Hayao Miyazaki seinen Austritt aus dem Berufsleben ankündigt. „The Boy and the Heron“ ist das beste Beispiel dafür, dass der Künstler keine andere Wahl hat, als sich an die Arbeit zu machen. Der Film wirkt, als ob er aus den Tiefen seines Unterbewusstseins herausgekrochen sei. Weit entfernt ist man hier von der Fabelwelt des Katzenbusses oder Chihiros Reise ins Badehaus der Hexe Yubaba. „Heron“ und „The Wind Rises“ nehmen sich an vielen Stellen gegenseitig an die Hand. Die erste Hälfte hat den gleichen, wenn nicht noch naturalistischeren Ansatz als der Vorgängerfilm. Erst nach und nach kommt das „world building“ zur Geltung, für das der Filmemacher bekannt ist. Es fängt beim Reiher an, in dem eine Gnom-ähnliche Figur lebt, und hört bei militaristischen Sittichen und Paralleluniversen auf, in denen Zeit und Raum nebeneinander hinter Türen koexistieren.

Kein Miyazaki für Kinder

So fragmentiert wie „The Boy and the Heron“ war noch nie ein Ghibli-Film und es ist definitiv kein Werk für Kinder. Der Film ist ein tiefenpsychologisches Mosaik, mit dem Freud und Lacan entzückt mit der Zunge schnalzen würden. Hoffnung und Hoffnungslosigkeit sind kaum voneinander zu trennen. Der Filmemacher war schon immer ein tendenzieller Pessimist, der sich seiner eigenen Rolle gegenüber Natur und Mitmenschen bewusst war. Aber für den Jungen und den Fischreiher bleibt das Plädoyer für eine bessere Welt und vor allem ein besseres Miteinander für die nächsten Generationen so diffus wie noch nie.

Die Nostalgie, das Déjà-vu der schon oft durchwanderten Landschaften und durchgeflogenen Himmelskörper: Ghibli-Jünger werden Versatzstücke aus seinem Œuvre wiedererkennen und feiern. Es ist ein letztes Sichklammern an Erinnerungen, die es am besten gilt, loszulassen. Am Ende von „The Boy and the Heron“ hat man weiß Gott nicht alles verstanden, aber vielleicht gibt es ein Hauchen von einem Ansatz einer Antwort auf die Frage „How do you live?“ – übrigens der japanische Originaltitel des Films. Stellte Paul Valéry noch die Anfangsfrage für den Vorgängerfilm – „Le vent se lève, (…) il faut tenter de vivre“ aus seinem „Le cimetière marin“ –, ist „The Boy and the Heron“ quasi die Folgefrage: Leben, ja, aber wie? Vielleicht liefert Hayao Miyazaki ja mit über 90 Jahren und seinem nächsten Film eine Antwort.