Es war ein historisches Treffen. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU kamen die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten am Montag in einem Land zusammen, das sich gerade im Krieg befindet. Jean Asselborn (LSAP) und seine Kollegen reisten mit dem Zug aus Polen nach Kiew, um dort unter anderem den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Außenminister Dmytro Kuleba zu treffen. Eine Mission, die bis zuletzt geheim gehalten wurde – und die ohne Zwischenfälle verlief.
Einen Tag später teilt Asselborn die surreale Erfahrung mit luxemburgischen Journalisten. Kiew sei relativ unberührt vom Krieg. Schäden durch Drohnen seien im Bild der Stadt nicht sichtbar. „Man fragt sich, ob das überhaupt real ist, was da passiert“, sagt Asselborn. Und doch ist es die harte Realität, die der Minister von seinem Besuch in Kiew mitgebracht hat.
Die Gegenoffensive läuft, aber sie braucht Zeit
Seit Juni läuft die Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte. Sie kommt langsamer voran, als viele in Europa hofften. Besonders im Vergleich zu den militärischen Erfolgen aus dem Herbst 2022, als man Charkiw und Cherson befreite. Asselborn analysiert die Lage: Seit letztem Jahr habe Russland Zeit gehabt, seine Defensivlinien aufzubauen und Minen zu legen – an manchen Stellen seien es bis zu sechs pro Quadratmeter. Außerdem sei viel Infrastruktur zerstört worden. „Terrain wird nicht auf Kilometer gewonnen, sondern auf Meter.“
Furcht und Hoffnung bündelt sich dabei in der Region um Saporischschja. Furcht, weil das dortige Atomkraftwerk noch immer in russischer Hand ist. Hoffnung, weil die ukrainische Offensive in dieser Gegend die russischen Linien durchbrechen und eine Schneise Richtung Süden bis zum Asowschen Meer schlagen könnte. Diese drohende Zweiteilung der Front würde Russland unter Druck setzen und zum teilweisen Rückzug seiner Truppen zwingen.
Besonders düster erscheint Asselborn die Tatsache, dass eine Lösung des Konflikts auf diplomatischem Weg nicht absehbar sei. Außenminister seien eigentlich nicht für Waffenlieferungen da, sondern für Diplomatie, so Asselborn. Doch den Angriffskrieg könne nur einer stoppen. „Und der heißt Putin.“ Es sei falsch, zu behaupten, der Krieg wäre vorbei, wenn der Westen keine Waffen mehr an die Ukraine liefern würde. „Der Krieg wäre vorbei mit der Konsequenz, dass die Ukraine nicht mehr existieren würde“, sagt der Minister. Weshalb es weitere Hilfe geben muss. Humanitär, militärisch und auch für den Wiederaufbau. „Wir nehmen unsere Solidarität ernst“, so Asselborn. Über den Mechanismus der European Peace Facility will die EU der Ukraine zwischen 2024 und 2027 20 Milliarden Euro an militärischer Hilfe zukommen lassen.
Globaler Dialog, europäischer Zusammenhalt
Im Februar unterstützte Luxemburg zusammen mit 140 weiteren Mitgliedern bei der UN-Vollversammlung eine Resolution für ein Ende des Krieges in der Ukraine und einen Rückzug Russlands. 32 Länder enthielten sich, darunter China und Indien. Die würden sich neutral nennen, so Asselborn, „was auch immer das heißt“. Gleichzeitig vertreten sie drei der acht Milliarden der Weltbevölkerung. „Das ist ein Knoten, der nicht so leicht gelöst werden kann.“ Ein wichtiger Gesprächspunkt auf dem EU-Außenministertreffen in Kiew sei deshalb der Kontakt und Austausch mit den Ländern des globalen Südens gewesen.
Es ist aber vor allem der Zusammenhalt innerhalb der EU, der Asselborn Sorge bereitet. In der Slowakei wurde bei der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag die linkspopulistische Partei des ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Robert Fico stärkste Kraft. Die Smer zelebrierte im Wahlkampf Nähe zu Russland und will die Militärhilfe für die Ukraine beenden. Während Koalitions- und Regierungsbildung in der Slowakei noch laufen, macht Asselborn seine Haltung deutlich: „Wir dürfen als europäische Sozialisten nichts mit einer Partei zu tun haben, mit einem Premier, der die Auffassung hat, nichts zu tun, was Putin schaden könnte. Das geht nicht.“
Noch deutlicher fällt jedoch der Fall Polen ins Gewicht. Das Nachbarland zählte bislang zu den zuverlässigsten und größten Unterstützern der Ukraine. Doch auch in Polen wird in zwei Wochen gewählt. Die regierende PiS will vorerst keine neuen Waffen an die Ukraine liefern und stattdessen die eigene Verteidigungsfähigkeit an erste Stelle setzen. Außerdem blockiert Polen Einfuhr und Transit von ukrainischem Getreide – zum Schutz der eigenen Agrarproduktion, so die Begründung. Das Zurückweichen Polens „sei nicht einfach wegzustecken“, sagt Asselborn. Das Auseinanderbrechen des europäischen Zusammenhalts sei ein Unglück auch für zukünftige Generationen. „Entweder wir reißen uns in Europa zusammen oder wir werden auseinandergerissen“, mahnt der Außenminister.
Ein politisches Europa, zu dem bald auch die Ukraine gehören könnte. Beim Treffen in Kiew sprach der ukrainische Außenminister Kuleba davon, dass man sich heute zwar noch außerhalb der EU treffen würde, aber „innerhalb der zukünftigen EU-Grenzen.“ Die Ukraine ist seit Juni 2022 offiziell Beitrittskandidat. Für gewöhnlich, so schildert Asselborn das Prozedere, werden Länder zunächst Mitglied der NATO, bevor sie Teil der EU werden. Dieser Weg aber sei nicht möglich, solange der Krieg läuft.
Zur politischen Lage in der Ukraine zeichnet Asselborn trotz allem ein optimistisches Bild. Zwar herrsche Kriegsrecht, auch die eigentlich für Oktober vorgesehenen Wahlen könnten nicht stattfinden, die Institutionen des Landes, allen voran das Parlament, jedoch funktionierten. Dort arbeite man weiter an den Punkten, die die EU der Ukraine als Voraussetzung für den Beitritt vorgeschrieben hat. Dabei geht es aktuell unter anderem um den Kampf gegen Korruption. Zwei dieser sieben Bedingungen auf dem Weg zur Mitgliedschaft habe die Ukraine laut eines Berichts der EU-Kommission aus dem Juni schon vollständig erfüllt.
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