Dreißig Minuten später als geplant kann Lindner schließlich seinen mühsam erarbeiteten Entwurf einbringen. Heftig umstritten war dieser, die Koalition konnte sich im Frühsommer nicht mal auf Eckwerte verständigen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) zog die Beratungen mit den Ressorts schließlich an sich.
Wie sieht der Etatentwurf nun aus? Die Ausgaben des Bundes sollen im kommenden Jahr bei 445,7 Milliarden Euro liegen – mehr als 30 Milliarden weniger als in diesem Jahr.
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, die in Teilen von SPD und Grünen umstritten ist, will Lindner unbedingt einhalten, die Verfassung schreibt es vor. Sie erlaubt eine Nettokreditaufnahme in einem nur sehr begrenzten Umfang. Die Neuverschuldung soll deshalb 2024 laut Entwurf bei 16,6 Milliarden Euro liegen, das sind rund 30 Milliarden Euro weniger als in diesem Jahr.
„Rückkehr der Schuldenbremse“
Lindner beginnt seine Rede mit einer Anspielung auf die Augenklappe des anwesenden Kanzlers: „Mein Eindruck ist, das Sehfeld des Bundeskanzlers ist zeitweilig nach rechts begrenzt. Vermutlich beginnt es etwa vorne ab der Reihe der CDU/CSU. Vielleicht findet er demokratischen Trost in den nächsten Tagen darin.“ Aus den Koalitionsreihen kommen Lacher – die Affäre um Hubert Aiwanger in Bayern und das Agieren des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder von der CSU schweißt die Ampel in Berlin wieder enger zusammen.
Das tut auch not, denn im Haushaltsentwurf steckt nicht nur eine Menge Ärger, sondern er wird auch noch zu vielen Diskussionen innerhalb des Regierungsbündnisses führen. Der Bundesfinanzminister drückt es so aus: „Es ist kein Geheimnis, in diesem Etatentwurf steckt viel Arbeit im Bundeskabinett.“ Aber es gehe „um die Rückkehr zur Schuldenbremse – oder genauer gesagt: zu langfristig tragfähigen Staatsfinanzen“. Die Zeit der krisenbedingten Mehrausgaben sei vorbei.
Lindner verweist auf die schnell steigenden Ausgaben für die Zinsen, die die Staatsverschuldung mit sich bringt. Für 2024 rechne er mit 37 Milliarden Euro Kosten allein für Zinsausgaben – gegenüber 2021 sei dies eine Verzehnfachung. „Wir können uns neue uferlose Schulden einfach nicht erlauben. Sie wären schlicht nicht finanzierbar.“ Mit Blick auf die teils heftige Kritik an den Kürzungen bekräftigte Lindner, dass „nur verteilt werden kann, was zuvor erwirtschaftet worden ist“.
Wir können uns neue uferlose Schulden einfach nicht erlauben. Sie wären schlicht nicht finanzierbar.
Der CDU-Haushaltsexperte Mathias Middelberg kritisiert, zwar gehe Lindners Entwurf in die richtige Richtung – allerdings müsse der Finanzminister sich nun darum kümmern, die „Regierung auf Kurs zu bringen“. Diese habe „keine einheitliche Linie“.
Das mit Abstand meiste Geld wird wie jedes Jahr im Haushalt des Arbeits- und Sozialministeriums bewegt. Knapp 172 Milliarden Euro sollen dafür 2024 bereitgestellt werden. Das ist mehr als ein Drittel des gesamten Haushalts. Allein für die Rentenversicherung sind 127 Milliarden Euro Steuergeld vorgesehen.
Gespart werden soll zum Beispiel in den Etats des Gesundheitsministeriums und des Familienministeriums. Bei der geplanten umstrittenen Elterngeld-Kappung für Bezieher hoher Einkommen ist das letzte Wort aber möglicherweise noch nicht gesprochen. Offen ist auch, ob der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Speisen in der Gastronomie über das Jahresende hinaus fortgeführt wird.
Wehretat soll steigen
Einzig der Wehretat soll um 1,7 Milliarden Euro auf rund 51,8 Milliarden Euro steigen. Über einen echten Zuwachs für 2024 kann sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) aber nicht freuen, denn der Betrag deckt ziemlich genau nur den Bedarf ab, der wegen Tarifsteigerungen nötig wird. Daher muss das „Zeitenwende“-Versprechen des Kanzlers, eine voll ausgestattete und einsatzbereite Bundeswehr, nun aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen finanziert werden.
Überhaupt spielen die „Sondervermögen“ des Bundes abseits des Bundeshaushalts eine wichtige Rolle. Neben dem Sondertopf für die Bundeswehr ist dies vor allem der Klima- und Transformationsfonds (KTF), aus dem milliardenschwere Vorhaben für den Klimaschutz investiert werden – zum Beispiel die staatliche Förderung für den Heizungsaustausch.
Der Haushaltsentwurf geht nun in die parlamentarischen Beratungen. Mitte November ist die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses geplant – dort kommt es üblicherweise noch zu teils großen Veränderungen am Entwurf. Vorher findet noch eine neue Steuerschätzung statt.
Umstritten in der Koalition ist besonders ein staatlich subventionierter, zeitlich beschränkter Industriestrompreis für Unternehmen mit besonders hohem Energiebedarf. SPD und Grüne wollen dafür den Wirtschaftsstabilisierungsfonds nutzen (WSF). Lindner widerspricht: „Eines ist aber klar, eine Zweckänderung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds wäre verfassungsrechtlich, nach meiner Auffassung, nicht zulässig“, sagte Lindner. Weitere Diskussionen sind also garantiert.
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