Zumeist nachts gehen die Saboteure ans Werk. Sie sprühen schwarze Farbe auf die Kameralinsen oder schneiden Kabel entzwei. Sie hämmern auf die Kameras ein oder sägen Haltestangen durch. Manche der Hassobjekte werden einfach abgefackelt. Am nächsten Morgen sieht man dann die demolierten Überwachungskameras auf dem Bürgersteig liegen.
„Eine grimmige Widerstandsbewegung operiert in den Vororten“, meldete die Sunday Times. Tatsächlich ist geradezu eine kleine Armee von Untergrund-Aktivisten unterwegs, um die Kameras zu eliminieren. Auf den sozialen Medien wie Twitter, Facebook oder Instagram haben sich Gruppen gebildet, die Unterstützung anbieten. Eine Facebook-Seite allein weist mehr als 30.000 Mitglieder auf. Hier finden sich Tipps, wie man Kameras am besten zerstören kann, und Landkarten, auf denen ihre Standorte verzeichnet sind. In einem Gebiet in Südost-London, meldete die Facebook-Gruppe „Ulez cameras location group“ stolz, seien fast 90 Prozent der Kameras aus dem Verkehr genommen worden, nur noch 29 seien funktionstüchtig.
Schmutziges Trinkwasser akzeptieren wir ja auch nicht, warum also schmutzige Luft?
Der Stein des Anstoßes ist die „Ultra Low Emission Zone“, kurz ULEZ, übersetzt etwa: Niedrigst-Emissionszone. ULEZ ist eine Umweltzone, die Londons Bürgermeister und Labour-Politiker Sadiq Khan am Dienstag auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet hat. Vorher operierte sie nur in der Innenstadt, jetzt aber werden sämtliche 33 Londoner Stadtteile für ältere Autos mit hohen Emissionen kostenpflichtig. Eine Tagesgebühr von 12,50 Pfund, umgerechnet 14,50 Euro, wird dann zahlen müssen, wer im Metropolraum innerhalb der Ringautobahn M25 mit einem Gefährt unterwegs ist, das nicht die Euro-4-Norm für Benziner oder die Euro-6-Norm für Dieselfahrzeuge erfüllt. Rund 850.000 Vehikel im Großraum London sind von der Erweiterung betroffen. Wer vergisst, die ULEZ-Gebühr zu zahlen, wird mit einem saftigen Bußgeld von 180 Pfund belegt.
Obwohl der Widerstand groß ist, will Bürgermeister Sadiq Khan sein ULEZ-Projekt nicht aufweichen. „Schmutziges Trinkwasser akzeptieren wir ja auch nicht, warum also schmutzige Luft?“, meint der 52-Jährige. Er ist persönlich betroffen. Er hat sich als Erwachsener Asthma zugezogen, weil, wie ihm sein Hausarzt bescheinigte, die Londoner Luft so schlecht sei. Seitdem führt Khan eine Kampagne gegen luftverpestende Automobile. Immerhin, so argumentiert er, verursache der Stickoxidausstoß in London jährlich 4.000 vermeidbare Todesfälle. Auf den Aufschrei hat Khan nur insoweit reagiert, die Bedingungen der Abwrackprämien für nichtkonforme Fahrzeuge großzügiger auszulegen. Zusätzliche 50 Millionen Pfund will Khan dafür bereitstellen.
Doch das hat die Wut derjenigen nicht gemindert, die eine Tagesgebühr von 12,50 Pfund als Zumutung empfinden. Der Streit um ULEZ erweist sich immer mehr als ein Katalysator, der zu einer Wende in der britischen Klimapolitik zu führen droht. Er hat eine nationale Debatte ausgelöst, wie viel Umwelt- und Klimaschutz man sich noch leisten will in Zeiten, wo die Lebenshaltungskostenkrise immer bedrängender wird. Ein Ereignis am 21. Juli hat gezeigt, wie viel politischer Sprengstoff hier verborgen liegt.
Torys profitieren schon
Denn in den frühen Morgenstunden dieses Freitags wurde das Ergebnis einer Nachwahl zum Unterhaus in dem am Westrand Londons gelegenen Wahlkreis Uxbridge verkündet. Ausgerechnet hier, im Sitz des ehemaligen Premierministers Boris Johnson, dessen chaotische Amtsführung die Konservativen in ein Umfragetief gestürzt hatte, konnte die Regierungspartei einen hauchdünnen Sieg von 495 Stimmen vor Labour einfahren. Der neue Tory-Abgeordnete Steve Tuckwell machte den Grund in seiner Siegesrede klar: „Es war die teure und schädliche ULEZ-Politik, deretwegen Labour diese Wahl verloren hat.“
Seitdem deutet einiges auf ein Umschwenken beim Klimaschutz unter Politikern hin. Premierminister Rishi Sunak entdeckte seine Liebe zu den Autofahrern und ordnete eine Überprüfung von umstrittenen lokalen Verkehrsreduzierungsprogrammen an. Sicherlich werde man weiterhin Fortschritte beim Klimaschutz machen, versprach er in einem Interview, „aber wir werden das in einer angemessenen und pragmatischen Weise tun, die den Menschen nicht mehr Probleme und Kosten aufhalst“. Auch Labour-Chef Keir Starmer wird skeptischer, was die grüne Agenda angeht. Er sei sicherlich kein „tree hugger“, kein Baumknutscher, ließ er verlauten. Für Starmer zählt, dass die erste Priorität für Labour sein muss, den Sieg bei den für Ende 2024 erwarteten Wahlen sicherzustellen. Notfalls müssten dafür auch hehre Klimaschutzziele geopfert werden.
Ist schon irre, meint Freund Gregory aus Manchester, unsere ganze Strasse, Reihenhäuser bis zum Horizont, verbrennen Kohle und Torfbriketts zum Heizen, wir sollen jetzt die Autos aus den Vorgärten verbannen. Er fährt zweimal im Jahr zu seiner Kusine nach Stretford, mit altem Vauxhall, Viva!